»Wer bin ich?« ist eine Frage, die sich an den Schaltstellen im Leben durchzieht. Jesus Christus wird gefragt, wer *er* sei. Wer ist er für mich? Und was kann er in meinem Leben tun?

Predigt über Matthäus 11,2–10: Wer bist Du?

Am dritten Advent. Veröffentlicht 17.12.2023, Stand 13.02.2024, 1341 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch!

Liebe Gemeinde, der Predigttext für diesen Dritten Advent steht im Matthäus-Evangelium. Ich lese aus der vorigen Lutherbibel:

Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
Als sie fortgingen, fing Jesus an, zu dem Volk von Johannes zu reden: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch: er ist mehr als ein Prophet. Dieser ist’s, von dem geschrieben steht (Maleachi 3,1): »Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.«
–Mt 11,2–10 (Lutherbibel 1984)

Gott, wir danken Dir für Dein Wort. Schenke uns, dass wir es fassen und zu unserem machen. Amen.

Die Lebensfrage »Wer bin ich?«

Liebe Gemeinde, neulich sah ich einen Krimi, in dem jemand erkannte, dass sein ganzes Leben auf einer Lüge basierte. Der Film spielte in Amerika, der Vater war in ein Zeugenschutzprogramm gekommen und hatte eine neue Identität bekommen. Seine Tochter stellte nun als junge Frau fest, dass sie gar nicht diejenige war, für die sie sich hielt. Nicht einmal ihren wirklichen Namen kannte sie, denn sie war als eine ganz andere aufgewachsen.

Wer bin ich? Und: ist das Konzept von Wirklichkeit, das ich habe, richtig? Auch wenn ich das weiß, meiner selbst gewiss bin: Stellen wir uns nicht alle manchmal vor, jemand anders zu sein? Andere Möglichkeiten zu haben, lebensprägende Entscheidungen anders getroffen zu haben?

Literatur, Film, Theater sind dann Zerstreuungen, um dem Alltag kurz zu entfliehen. Und Tagträume sind meist die schönsten Träume.

Vergleichbares gilt für Urlaubsreisen, die auch eine willkommene Ablenkung vom Alltag sind, dem man in dieser Zeit entkommt. Dann kann man die »Seele baumeln lassen« und anders leben – auf Zeit. Der Karneval mit seinen Masken und Verkleidungen ist auch so etwas, steht er doch für einen Rollenwechsel auf Zeit. Schon die Römer kannten dies, bis dahin, dass an einem Tag die Herren die Sklaven bedienten.

Die Frage »Wer bin ich?« ist eine Lebensfrage. In der Pubertät wird sie ganz groß, wenn man beginnt, sich selbst auszuprobieren und schaut, welche Wege man gehen will. Die Frage danach, wer man selbst ist, wird auch groß, wenn Weichenstellung im Leben erfolgen – gesundheitlich, beruflich, familiär … sagen Sie es!

Wer ist Jesus Christus?

Im Predigttext kommen nun zwei der Jünger von Johannes dem Täufer zu Jesus. Er hatte Furore gemacht und seine Taten waren in aller Munde. Johannes war neugierig geworden, wer dieser Rabbi war. Ob er der verheißene Erlöser war? Also hatte er zwei seiner Jünger losgeschickt und als sie ihn treffen, fragen sie einfach nach, ohne viele Umstände zu machen.

»Wer bist Du?« ist eine Frage, die jede und jeder schon oft gefragt wurde. Es kann die Frage nach unserem Namen sein, nach der Funktion, die wir einnehmen oder der Gruppe, der wir zugehörig sind. Wenn es diese einfache Informationsfrage ist, kann man sie schnell beantworten, mit dem Namen, der Aufgabe, dem Team.

Manchmal ist diese Frage »Wer bist Du?« tiefergehend, existenziell. Wenn uns das jemand fragt, den wir gut kennen, ist sie sehr ernst. Vielleicht sind wir dann aus der Rolle gefallen, haben den Rahmen um das Bild, das andere sich von uns gemacht haben, verlassen. Und ein »Wer bist Du?« kann schließlich auch anzeigen, dass wir anders geworden sind, dass wir uns weiterentwickelt haben.

Johannes der Täufer hat mit seiner Frage sein tiefes Interesse an Jesus zum Ausdruck gebracht. Seinen Namen kannte er bereits, seine Funktion und Rolle ebenfalls. In seinem »Wer bist Du?« steckt die existenzielle Komponente: Ist Jesus mehr als das, was sein Name und seine Rolle ausmacht? Ist er der von Gott gesandte Retter?

Jesus gibt keine direkte Antwort, sondern weist die Jünger an, Johannes über sein Wirken zu berichten. Dieses ist absolut außergewöhnlich, es fällt in den Bereich dessen, was manche mit dem Wort »Wunder« bezeichnen. Wo Jesus handelt, verändern sich die Leben derer, mit denen er zusammentrifft, teilweise vollkommen. Da ist so mancher vom »Saulus zum Paulus« geworden, da wurden Schwierigkeiten überwunden, da bekam Leben eine neue, bessere Qualität.

Eigene Antworten

Wer ist Jesus Christus? Antwort auf diese Frage können wir nur je individuell finden. Als Kirche, also als Gemeinschaft derer, die zu ihm gehören, haben wir Antworten. Dann ist Jesus Christus Gott selbst, der in diese Welt kam, damit wir von deren Einschränkungen frei werden. Es beinhaltet, dass Gott uns schon heute begegnet, uns im Heiligen Geist Kraft schenkt.

In dieser Woche haben mich zwei Leute auf die Frage danach, wer Christus ist, gestoßen. Im einen Gespräch ging es darum, dass Menschen den Glauben an Gott verloren haben, nachdem ein erwachsenes Kind sich ums Leben gebracht hatte. Im anderen Gespräch kam die Frage danach auf, wie wir angesichts der vielen Kriege glauben können.

»Wer bist Du?« – Diese Frage gewinnt in Bezug auf Jesus Christus dann eine ganz andere Brisanz, wenn wir selbst von etwas betroffen sind. »Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt«, antwortet Jesus den beiden Johannes-Jüngern. Er kann Leben verändern. Warum verändert er dann nicht sofort diese Welt?

Die Frage nach Gott kann anderes werden, wenn der allmächtige Gott unsere innersten, wirklich existenziell wichtigen, Wünsche nicht erfüllt. Dies kann uns den Blick auf Gott so verstellen, dass wir ihn nicht mehr fassen können, von ihm enttäuscht sind. Unsere Antwort auf die Frage, wer Christus für uns ist, findet dann keine tragfähige Antwort, findet ihn nicht. »Gott will im Dunkel wohnen«, dichtete Jochen Klepper (1938 im Lied Die Nacht ist vorgedrungen, eg 16) in einer schwierigen Zeit.

»Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?« hieß Johannes’ des Täufers Frage an Jesus. Sie ist mit der Frage »Wer bist Du?« in Bezug auf Gott so eng verbunden wie ein Paar, das miteinander tanzt.

Jesus weist als Antwort auf das hin, was er getan hat. Er hat Leben verändert, um zu zeigen, wie es bei Gott ist und dass Leben mit Gott schon jetzt bei uns etwas verändern kann. Nein, er hat die Frage nicht direkt beantwortet, sondern nur einen deutlichen Fingerzeig gegeben, wie die Antwort sein könnte.

Wenn Leid ein Grund zum Zweifel ist, dann denke ich an die Passionsgeschichte, wo Christus sich selbst dem Leid gestellt hat. Er hat es überwunden, das ist Auferstehungsglaube. Wo wir diesen haben, ihn wie ein kleines Pflänzlein gießen und ihm aufhelfen, entfaltet er seine Kraft. Dann können wir im Glauben gehen und auch in den Dunkelheiten Licht sehen, weil wir Gott an unserer Seite erfahren: »Wer bist Du?« – Der, der mich nicht ins Bodenlose fallen lässt, sondern mit mir auf dem Weg ist, damit ich ans Ziel komme.

Bild von Shepherd Chabata auf Pixabay

Bild von Shepherd Chabata auf Pixabay

Jetzt, im Advent, sind wir auf dem Weg zu Weihnachten. Es ist eine Zeit des Hoffens und Wünschens und es ist auch eine Zeit, in der wir manche Dunkelheit erleben. Lassen wir das Licht des Advents uns daran erinnern, dass Jesus Christus die Dunkelheit auch bei uns überwinden kann.

Wenn uns dies gelingt, dann kann bei uns etwas neu werden, dann finden wir vielleicht eine Antwort auf dieses »Wer bist Du«. – Wie sagte Jesus? »Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.«

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

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