Zusammenleben ist nicht einfach. Eigener Raum, in dem ich ich sein kann, ist wichtig. Abraham und Lot haben einen Weg gefunden, ein-sam gemeinsam zu bleiben und zusammenzuleben.

Predigt über Genesis 13,1–12: Zusammen leben

Am 21. Sonntag nach Trinitatis in Wiedenest und Derschlag. Veröffentlicht 29.10.2023, Stand 15.12.2023, 1263 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch!

Liebe Gemeinde, der Predigttext steht im 13. Kapitel des Ersten Mosebuchs, Genesis:

Abram kehrte mit seiner Frau und seinem ganzen Besitz an Tieren und Menschen in den südlichsten Teil des Landes Kanaan zurück. Auch sein Neffe Lot begleitete ihn. … Abram war sehr reich. Er besaß große Viehherden und viel Silber und Gold. Auch Lot, der mit ihm zog, hatte viele Schafe, Ziegen und Rinder und viele Zelte, in denen seine Hirten mit ihren Familien lebten. Das Weideland reichte nicht aus für die Viehherden der beiden; sie konnten auf die Dauer nicht zusammenbleiben. Es gab immer Streit zwischen den Hirten Abrams und den Hirten Lots. Außerdem wohnten damals noch die Kanaaniter und die Perisiter im Land. Da sagte Abram zu seinem Neffen: »Es soll doch kein Streit zwischen uns sein, auch nicht zwischen unseren Hirten. Wir sind doch Brüder! Das Beste ist, wir trennen uns. Das ganze Land steht dir offen: Du kannst nach Norden gehen, dann gehe ich nach Süden; du kannst auch nach Süden gehen, dann gehe ich nach Norden.« Lot schaute sich nach allen Seiten um. Er sah, dass es in der Jordanebene reichlich Wasser gab. … Deshalb entschied sich Lot für die Jordangegend und zog nach Osten. So trennten sich die beiden: Abram blieb im Land Kanaan, Lot ging ins Gebiet der Jordanstädte und kam im Lauf der Zeit mit seinen Zelten bis nach Sodom.
— 1. Mose/Genesis 13,1–12 (Gute Nachricht Bibel)

Gott, wir danken Dir für Dein Wort. Schenke uns, dass wir es fassen und zu unserem machen. Amen.

Liebe Gemeinde, Abraham und Lot konnten nicht mehr zusammenleben. Das klingt beinahe wie eine Erzählung aus unserer Zeit, in der sich niemand mehr festlegen will, doch die Erzählung steht am Anfang der Bibel. Wir Menschen sind Individuen, zwar Gemeinschaftswesen, aber doch eben Einzelne.

Abraham und Lot war es irgendwann nicht mehr möglich, als Einzelne eine Gemeinschaft zu bilden. Ihre Interessen gingen durcheinander und ihre Nähe war zu groß, sodass sie sich buchstäblich ins Gehege kamen. Dass dies nicht nur sie, sondern auch ihre Hirten, also eine größere Gruppe, betraf, haben wir gehört. Was tun, wenn Zusammenleben aufgrund von Konflikten schwierig wird?

Das Robbers Cave-Experiment: Gruppenkonflikte lösen

Die Tagesschau berichtet über das Robbers Cave-Experiment1 aus den 1950er-Jahren. Angeblich ist dies ein »Meilenstein in der Konfliktforschung«. Ein Sozialpsychologe, der selbst eine schwierige Kindheit erlebt hatte, wollte wissen, weshalb Menschen immer wieder in Konflikte geraten und wie man diese lösen kann.

In dieser Zeit gab es in der Forschung noch keine festgeschriebenen ethischen Grundregeln und so begann er ein Experiment, das nach unserem heutigen Wertebewusstsein eine Unmöglichkeit wäre. Er veranstaltete ein Sommerlager für zweiundzwanzig Jungen, allesamt aus intakten Familien, wo es keine Scheidung oder Trennung gab, denn es sollte eine einheitliche Testgruppe entstehen.

Diese Jungen teilte er in zwei gleich große Gruppen ein und das Programm hatten beide Gruppen getrennt voneinander. Die Kinder lernten einander kennen, dies war der erste Teil des Experiments.

Die nächste Stufe war, die beiden in sich gefestigten Gruppen gegeneinander aufzuhetzen. Sportliche Wettkämpfe fanden statt, wurden aber unfair bewertet. Dies führte dazu, dass die beiden Gruppen einander feind wurden. Schlägereien und Überfälle waren traurige Ereignisse.

Nachdem er die beiden Gruppen so verfeindet hatte, wollte der Forscher zum Ziel kommen: Wie können Menschen ihre Konflikte überwinden, wieder zusammenwirken?

Man ließ beide Gruppen dasselbe Problem lösen, Wassermangel. In seinem Szenario legte er an, dass dieses Problem nur gemeinsam gelöst werden konnte und dies gelang den Jungs in dem Moment, in dem sie ihre gegenseitigen Anfeindungen einstellten und zu kooperieren begannen.

Der Bericht über dieses so fragwürdige Experiment im Robbers Cave State Park im amerikanischen Oklahoma hat der Psychologie geholfen, die Mechanismen von Vorurteilen und Konflikten besser zu verstehen und wie man in einer Gruppe kooperatives Verhalten anbahnen kann, Frieden machen kann. (Sie können den Bericht über Robbers Cave in der ARD Mediathek anschauen.)

Das Fazit aus dem Experiment sei, dass Friede dann einkehren kann, wenn die beteiligten Gruppen sich darauf einlassen, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Dann können sogar alte Animositäten überwunden werden, man zusammenwachsen.

Nähe und Distanz

Nähe und Distanz sind zwei Wörter, die zusammengehören wie Tag und Nacht. Wie nah, wie dicht, wie eng kann Zusammenleben sein? Wie viel Raum zur eigenen Entfaltung gehört dazu? Und was sind »Gelingensfaktoren« für Gemeinschaft?

Abraham und Lot waren einander ins Gehege gekommen, ganz buchstäblich. Ihre Hirten klagten, die Tiere nicht voneinander unterscheiden zu können und es war unklar, wem was gehörte. Schnell werden sich die beiden und ihre Leute von den anderen übervorteilt erlebt habe. Der Konflikt war geboren und uferte aus.

Raum zur Entfaltung

Raum zur Entfaltung ist eine Grundbedingung, damit Leben gelingt. Sie als Eltern erleben gerade, dass Ihre Kinder als Jugendlich mehr »Raum« benötigen. Welche Blüten dies zeitigt, wissen Sie selbst nur zu gut und oftmals wird dabei der Blutdruck in Mitleidenschaft gezogen, wenn die neulich noch so lieben Kleinen sich in »gefährliche Pubertiere« verwandeln.

Und Ihr Konfis erlebt sicherlich auch, dass das Verhältnis zu Euren älteren Mitbewohnern manchmal spannungsvoll ist. Der Service ist längst nicht mehr das, was er mal war und hören tun die Eltern auch nicht so wie früher. Ich erinnere mich, dass meine Eltern schwierig wurden, als ich in Eurem Alter war. Gott sei Dank hat sich das gelegt.

Raum zur Entfaltung ist hilfreich, notwendig, und dies ist kein Gegensatz zum Gemeinschaftsgedanken. Als Individuen können wir dann eine Gruppe sein, wenn der notwendige Zusammenhalt gegeben ist. Familiäre Bindung, Verwandtschaft und Freundschaft sind solche Bindungsfaktoren, die Gemeinschaft stiften.

Gemeinsame Erfahrungen und Interessen sind das andere. Dies kann man leicht überprüfen: Wann und in welchem Kontext haben Sie die meisten heute noch lebendigen Freundschaften geschlossen? Doch da, wo Sie gemeinsam wichtige Lebensabschnitte durchlebt haben oder da, wo Sie »mehr« geworden sind, zum Beispiel in Ausbildung, Studium oder einer Situation, in der Sie sich weiterentwickelt haben.

Taufe schafft eine bleibende Gemeinschaft

Heute wurden zwei unserer angehenden Konfirmanden getauft. Taufe ist hilfreich für unsere Beziehung zu Gott. Unsere Taufe verbindet uns mit ihm und in Zeiten des Zweifels, wenn wir Gott nicht mehr fassen, ihn »einen guten Mann sein lassen«, kann unsere Taufe uns an ihn erinnern. Taufe ist das Versprechen Gottes, dass er uns nicht lässt – selbst dann nicht, wenn wir ihn lassen.

Einen wichtigen Bindungsfaktor habe ich vorhin nicht genannt: die Religion. Ein gemeinsamer Glaube ist eine tragfähige Wertegrundlage und erzeugt Konsens.

Taufe ist das Zugangskriterium für christlichen Glauben und Taufe stellt uns zugleich in die weltweite Christenheit. Wie sehr wir Christinnen und Christen an einem Strang ziehen, einander helfen, durfte ich schon häufig erleben.

Schluss

Machen wir uns an unserer Taufe fest, damit wir uns auf allen Wegen von Gott getragen und begleitet wissen dürfen. Mit ihm kann Leben gelingen und – bei aller Individualität – Gemeinschaft entstehen.

Ein Paar sitzt auf einer Bank und rastet. Fahrräder stehen neben ihnen und sie schauen einen prächtigen Sonnenuntergang an.

Gemeinsam handeln verbindet. Bild: Blickpixel, Pixabay.

Gemeinschaft wagen heißt, Hände zu reichen, statt Gräben zu ziehen und immer wieder einander zu begegnen, bei aller notwendigen Distanz.

Abraham und Lot haben einen Weg gefunden, ihren Konflikt zu lösen. Im Fortgang erzählt die Bibel, dass die beiden gut miteinander ausgekommen sind und einander geholfen haben.

Der richtige Abstand, eigener Raum und eine gemeinsame Grundlage sind Gelingensfaktoren für Beziehungen. Dass mit dem Raum neben dem tatsächlichen auch Verantwortungsbereiche gemeint sind, ist ebenso klar wie die gemeinsame Grundlage, die unser Glaube uns bildet. Wo Glaube an Jesus Christus dies ist, können wir verzeihen, aufeinander zugehen und Gräben zuschütten.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


  1. Vgl. https://www.tagesschau.de/wissen/forschung/robbers-cave-experiment-100.html, abgerufen am 25.10.2023. ↩︎

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