Beten ist die Möglichkeit, an Gott abzugeben, was uns auf der Seele liegt und zugleich vom ihm zu empfangen, was er uns geben will. Im Jakobusbrief lesen wir vom Gebet und dass es seinen Ort auch in der Gemeinde hat.

Predigt über Jakobus 5,13–16: Von der Kraft des Gebets

Am 15. Oktober 2023, 19. Sonntag nach Trinitatis, in Wiedenest und Derschlag. Veröffentlicht 15.10.2023, Stand 15.12.2023, 1658 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch!

Liebe Gemeinde, wer betet hier eigentlich vor dem Essen? – Nur gut, dass jetzt niemand gesagt hat: »Beten ist gar nicht nötig, wir wissen, wie man lecker kocht!«

Im Neuen Testament wird das Thema Gebet im Jakobusbrief folgendermaßen angesprochen:

Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.
Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.
— Jakobus 5,13–16 (Lutherbibel 2017)

Gott, wir danken Dir für Dein Wort. Schenke uns, dass wir es fassen und zu unserem machen. Amen.

Gebet als Herzenangelegenheit

Liebe Gemeinde, im Jakobusbrief wird zum Handeln aufgerufen: »Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein!« (Jak 1,22) Zu Handeln ist Folge des Glaubens, denn Glaube kann sich nicht in folgenloser Frömmigkeit ergehen. Beten ist deshalb der erste Schritt zur Veränderung.

Der Jakobusbrief nimmt Gebet als kommunikatives Ereignis in Blick, belässt es nicht bei der individualisierten Perspektive von Gebet als Anrufung Gottes durch einen Menschen: Gebet hat auch in der Gemeinde seinen Ort. Füreinander zu beten lohnt sich, weil wir so einander aufrichten. Es hat Wirkung: »Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.« (V. 16)

Bild von reenablack bei Pixabay.

Das Vaterunser kann man immer beten, wenn eigene Worte fehlen.

Wenn wir beten, besinnen wir uns auf das, was wichtig ist. Sind es nicht zumeist Herzensangelegenheiten, die wir im Gebet Gott antragen? Herzensangelegenheiten sind, ganz individuell, von Bedeutung. Indem wir beten, besinnen wir uns auf das Eigentliche, werden wir frei, Verantwortung für uns zu übernehmen.

Im Fürbittengebet schauen wir über uns selbst hinaus, legen Gott andere ans Herz und setzen uns selbst zu ihnen in Beziehung. Wenn wir beispielsweise für Frieden in Israel und Palästina beten, sind wir in Gedanken bei Israel, das durch die Angriffe der Islamisten mit Krieg überzogen wurde und denen, die unter diesem Krieg leiden.

Gebet nach dem Angriff auf Israel

Lassen Sie uns angesichts dieses weiteren Krieges jetzt innehalten und für Frieden beten. Ich leihe mir dazu Worte von Pfarrerin Miriam Haseleu, deren Friedensgebet unsere Landeskirche veröffentlicht1 hat:

Gott,
du bist der, der da ist,
der Gott Israels, unser Gott.

Wir haben keine Worte für das, was in diesen Tagen in Israel geschieht.
Keine Worte für das Leid, das die Terroristen der Hamas über Tausende Menschen gebracht haben.
Keine Worte für das Unrecht, das Kindern, Frauen, Männern und Familien angetan wurde und wird.
Mit unserem Entsetzen kommen wir zu dir, Gott.

Wir bitten dich:
Breite das Zelt deines Friedens aus über die Menschen in Israel.
Dein Frieden, dein Shalom, ist Schutz und Freiheit.
Breite deinen Frieden aus über die, die um Angehörige bangen und trauern.
Über die Verwundeten und die, die fliehen mussten.
Breite das Zelt deines Friedens aus über die, die noch bedroht werden von Terroristen und Raketen.
Lass die Entführten und Verschleppten schnell befreit werden und nach Hause kommen.
Breite das Zelt deines Friedens aus über die, die unter Gewalt leiden müssen, und lass die Gewalt enden.

Wir bitten dich, Gott:
Breite das Zelt deines Friedens aus über die jüdischen Menschen in Deutschland und in allen Ländern, die in diesen Tagen Angst und Bedrohung ausgesetzt sind.
Gott, wir haben keine Worte, und doch müssen wir welche finden. Hilf uns dabei, dass wir als evangelische Christinnen und Christen unmissverständlich an der Seite Israels und der jüdischen Gemeinschaften überall in der Welt stehen. Dass wir laut und deutlich eintreten gegen Judenfeindlichkeit und gegen Israelhass. Dass wir sichtbar und hörbar sind in unserer unverbrüchlichen Solidarität mit unseren jüdischen Geschwistern. Bestärke uns Worte, Stimme und Taten dafür zu finden.

Gott, du bist der, der da ist. Breite das Zelt deines Friedens aus über Israel und über die ganze Welt.

Und ich bete weiter:

Wir bitten Dich, Gott, für alle Menschen, die unter Krieg leiden: schenke ihnen Kraft, auszuhalten. Hilf ihnen und uns, auf Frieden und Gerechtigkeit hinzuwirken. Lass uns das schon in unserem Alltag tun.
Wir bitten Dich für alle, die Krieg in ihren Herzen tragen. Angst, Missgunst, Fremdenhass sind solch eine Saat. Hilf, dass sie nicht aufgeht, sondern »Blumen« statt »Dornen« wachsen. Heile ihre Seele, dass sie Frieden suchen und nicht Krieg.
Amen.

Das Gebetbuch »mit dem PX«

Liebe Gemeinde, es sind Herzensangelegenheiten, die wir im Gebet vor Gott bringen: das, was wir »über dem Herz tragen.« Gott im Herzen zu tragen, das kann manchmal beinahe buchstäblich sein, aber doch ganz anders:

In meinem Vikariat lernte ich einen alten Herrn kennen. Er erzählte mir eine Geschichte aus seiner Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Und wie das so ist, kam eine Erzählung öfter vor, weil sie ihm wichtig war.

Es war der Bericht, wie er angeschossen wurde, eigentlich hätte tot sein müssen, denn der Schuss hatte die Brust getroffen. Auch wenn da nicht mehr viel Energie hinter war und er sich sicher war, dass der Schuss ihm gar nicht gegolten, sondern ihn einfach getroffen hatte, wäre das böse ausgegangen.

»Gelobt sei der HERR, mein Fels … meine Hilfe und meine Burg, mein Schutz und mein Erretter, mein Schild, auf den ich traue …« heißt es in Psalm 144. Der Treffer tat ihm nichts, weil er sein Gebetbuch in der Brusttasche hatte, »das mit dem PX«, dem Chi-Rho (☧), das für Christus steht. Darin blieb die Kugel stecken und er bekam nur einen tüchtigen Schreck.

Solche Geschichten aus dem Krieg haben wir alle schon gehört und manches Mal kann man sich nicht sicher sein, wie wahr diese sind. Dem alten Herrn habe ich sie abgenommen, weil es für ihn eine Bewahrungsgeschichte war. Dass es ausgerechnet das über der Brust – über dem Herzen und der Lunge – getragene Gebetbuch war, das den Schuss gestoppt hat, ist eine schöne Metapher dafür, dass das Gebet so etwas wie ein Atemholen der Seele ist.

Gebet als »Atemholen der Seele«

Gebet als »Atemholen der Seele«? Das ist ein eindrückliches Bild. Wie empfinden Sie das? Ist es zu viel?

Auf jeden Fall ist es ein nachdenkenswertes Bild. Gesundheit, Fitness, ausgewogene Ernährung, Work-Life Balance – dies sind alles Modeworte unserer Zeit. Neben diesen dem körperlichen Wohlbefinden zuzuordnenden Vokabeln gibt es solche, die zur seelischen Gesundheit gehören; Meditation und Yoga sind kommerzialisierte Beispiele.

Wir sind mehr als Leib. Besonders in herausfordernden Situationen erlebe ich Seelsorge als Hilfe, heil zu bleiben. Beten ist ein Mittel, die Seele »Atem holen« zu lassen, ihr Raum zu verschaffen und Kraft zu geben. Dies trägt, nicht nur in schwierigen Zeiten.

Gebet braucht Praxis

Damit dies gelingt, muss man auch beten. Wer nicht betet, sucht sich Ersatz, doch der trägt im Regelfall nicht, wenn es darauf ankommt. Ein Beispiel zur Illustration: Der Religionssoziologe Detlef Pollack vertritt …

eine interessante These: Es sei eben gar nicht unbedingt so, dass die Leute vom Glauben abfielen und dann die Kirche verließen. Eher verließen sie die Kirche und verlören darüber den Glauben. Einfach weil ihnen die Routine abhandenkommt.
»Häufig sagen Menschen: Ich kann religiös sein ohne Kirche. Aber das stimmt nur in begrenztem Maße. Die meisten sind ohne Kirche nicht religiös«, da ist sich Pollack ziemlich sicher.
»Der Glaube ist nicht etwas, was man im stillen Kämmerlein vor sich hin praktiziert, sondern das ist auch eine soziale Tatsache. Geht die Zahl der Gottesdienstbesucher runter, folgt mit einer gewissen Verzögerung auch der Glaube an Gott.«2

Wenn ich dies auf das Beten übertrage, heißt das, dass ein Mangel an Gebet unserer Seele nicht guttut. Umgekehrt, dies belegen Studien, hilft Beten tatsächlich. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, dass Betende resilienter sind und schwierige Zeiten besser überstehen als Menschen, denen Gebet und religiöse Praxis fremd sind.

»Leidet jemand unter euch, der bete … Des Gerechten Gebet vermag viel«, heißt es im Jakobusbrief. Und darüberhinaus, so lesen wir dort, sollen wir eigentlich in sämtlichen Lebenslagen beten.

Gebet ist die Möglichkeit zu empfangen, was Gott gibt, erläutert der Theologe Gerhard Ebeling. Martin Luther beschrieb dies mit einem Bild: Zu beten heißt, »den Mantel weit aufzumachen«, so wie ein Segel dazu dient, vom Wind möglichst viel einzufangen.

Gottes Geist ist es, der uns dann in die richtige Richtung weht, wenn wir beten. Wer schon einmal gesegelt ist oder als Kind einen Drachen hat steigen lassen, weiß, dass die Richtung, in die man dann getrieben wird, nicht immer mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmt.

Zu Beten heißt, sich auf Gott einzulassen. Ein Mittel, Gott mit unseren Wünschen und Vorstellungen fernzusteuern, ist es aber eben nicht und wer Gebet so missversteht, nimmt Gott letztlich nicht ernst.

Der Theologe Wilfried Härle schreibt dazu: Das Gebet bewirkt nicht, dass Gott das Erbetene gibt, sondern im Gebet empfängt der Mensch das, was Gott ihm geben will. Umgekehrt gilt jedoch: Die Unterlassung des Gebets verhindert, dass Gott dem Menschen das Verheißene gibt, weil der Mensch nicht empfängt, was Gott ihm geben will.3

Liebe Gemeinde, »Des Gerechten Gebet vermag viel«, weil es das Mittel ist, von Gott zu empfangen. Lassen wir uns beschenken, indem wir die Hände falten, zur Ruhe kommen und von Gott nehmen, was er uns gibt: Geduld, Kraft, Durchhaltevermögen, eine Perspektive über uns selbst hinaus. Vor allem: Aus seiner Kraft heraus auf Frieden hinzuwirken. Gottes Geist schenke uns das.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Nach dem Fürbittengebet kommt der Hinweis, dass das Vaterunser eine Möglichkeit zu beten ist, wenn uns selbst die Worte fehlen oder wir zu aufgewühlt sind, unsere eigenen Gedanken vor Gott zu bringen.


  1. Veröffentlicht am 09.10.2023 auf https://news.ekir.de/meldungen/2023/10/gebet-nach-dem-angriff-auf-israel/, abgerufen am 13.10.2023. ↩︎

  2. Zitiert nach https://www.zeit.de/2023/32/adac-katholische-kirche-mitglieder-religion/, 27.07.2023, abgerufen am 13.10.2023. ↩︎

  3. Vgl. Wilfried Härle: Den Mantel weit ausbreiten, Theologische Überlegungen zum Gebet, in: NZST Bd. 33, 3.1991, Berlin: Walter de Gruyter, 231–247. ↩︎

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