All you need is love, da stimmen alle zu. Selbst geliebt, geachtet und geschätzt werden wollen wir alle. Doch die Sache mit der Nächstenliebe ist ein anderes Kapitel …

Predigt über 1. Johannes 4,7–12: All you need is love

Am 3. September 2023, 13. Sonntag nach Trinitatis. Veröffentlicht 03.09.2023, Stand 15.12.2023, 1318 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Hören wir den Predigttext aus dem Ersten Johannesbrief, Kapitel vier. Das Wort Liebe kommt darin mehrfach als Verb und Nomen vor – zählen Sie doch bitte einmal mit, wie oft! Ich lese aus der Lutherbibel:

Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist aus Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist Liebe. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.
Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben.
— 1. Joh 4,7–11 (Lutherbibel 2017)

Gott, wir danken Dir für Dein Wort. Sende Deinen Heiligen Geist, dass wir es fassen und zum unsrigen machen. Amen.

(Klären, wie oft das Wort vorkam: Wer hat mitgezählt? – Es sind dreizehn Mal. Eine Rose für den Ersten?)

Liebe Gemeinde, als ich den Text las, musste ich an den Beatles-Song All You Need Is Love (1967) denken: All You Need Is Love wird in diesem Lied zigfach wiederholt.

Im Predigttext wird Gottes Liebe als das Eigentliche gekennzeichnet, das für unsere Liebe wie der »Wind in den Segeln« ist: Weil Gott uns liebt, sollen wir Nächstenliebe üben. In der Lutherbibel ist der Text überschrieben mit »Die Liebe Gottes und die Liebe untereinander«.

Piep, piep, piep – wir haben uns alle lieb, das könnte man hören. Die »Dosis« an Liebe ist doch recht hoch ausgefallen – das kann auch zu viel sein. Salz gibt dem Essen die Würze, doch zu viel davon macht es eben versalzen. Ist das in diesem Text im Ersten Johannesbrief so?

Einige der Spitzensätze darin sind:

  1. Gott ist Liebe und wer liebt, ist aus dieser Liebe Gottes geboren, kennt Gott.
  2. Wer nicht liebt, kennt Gott nicht.
  3. Gottes Liebe ist in Jesus Christus in unsere Welt gekommen.
  4. Weil Gott uns liebt, sollen wir Nächstenliebe üben.

»Wer nicht liebt, kennt Gott nicht.« Das ist eine steile These, ebenso steil wie die Aussage, dass wer liebt, Gott kennt. Stimmt dies eigentlich? Anders gefragt: Kennen Sie jemanden, der nicht liebt?

Was ist das denn für eine Liebe, die in diesem Text so beschworen wird? Im Hellenismus gibt es drei Arten von Liebe: die körperliche, die freundschaftliche Zuneigung und die Nächstenliebe – um diese, die Nächstenliebe (ἀγάπη), geht es hier. Sie wird im Grundtext mit dem Wort Agape ausgedrückt und diese »Art« Liebe ist die christliche schlechthin: wenn im Neuen Testament von Liebe die Rede ist, ist es im Regelfall diese.

Agape, Nächstenliebe, hat einige Eigenschaften1: Sie trägt und verbindet untereinander und zeichnet sich durch Langmütigkeit aus. Vor allen Dingen bedeutet Agape als Nächstenliebe, aufbauend miteinander umzugehen, also nicht Gemeinschaft abzubrechen oder zu zerstören.

Agape leben

Wie leicht fällt es, so miteinander umzugehen, wenn man miteinander vertraut ist, einander sogar liebt. Stellt sich dann überhaupt die Frage, wie man miteinander umgeht? Ein junges Paar hat nur Augen füreinander, sehnt sich nach dem anderen, wenn man getrennt ist. Vielleicht telefoniert man tagsüber in Pausen miteinander oder tauscht Nachrichten aus. Und freie Zeit verbringt man miteinander.

Wenn eine Beziehung in die Jahre kommt, entdeckt man, dass dies auch Arbeit ist. Es geht in einer gesunden Beziehung nicht bloß um Selbstentfaltung, sondern um ein gelebtes Miteinander. Dies muss gestaltet werden, wenn es nicht bloß zu einer Wohngemeinschaft verkommen soll. Kompromisse und ein steter Austausch gehören dazu, um gemeinsame Ziele zu haben.

Ich möchte Ihnen aber keine Traupredigt halten. Diejenigen unter uns, die in einer Beziehung sind: Nutzen Sie heute Nachmittag doch, Ihre Paarbeziehung zu pflegen. Schmieden Sie Pläne. Durchbrechen Sie den Alltagstrott, nehmen Sie sich Zeit miteinander. Und die, die in keiner Beziehung sind: Warum nicht Kontakt zu lieben Freunden aufnehmen und ein Treffen in der nächsten Zeit verabreden?

Vielleicht sind Sie jetzt ein wenig irritiert, dass ich solche Vorschläge mache, denn diese entsprechen von den drei Arten an Liebe, die die neutestamentliche Sprache kennt, der Agape am wenigsten. Doch vielleicht ist solch ein Zugang ein viel besserer Weg, als gleich mit »gelebter Nächstenliebe« ins Haus zu fallen. Diese in drei Arten unterteilte Liebe hat auch so etwas wie »Schwierigkeitsgrade«. Also warum nicht erst einmal leicht anfangen und sich dann steigern?

Agape ist eine Herausforderung. »Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst« (vgl. Lev 19,18; Mk 12,31) findet schnell seine Grenze, wenn uns jemand blöd kommt oder wir eine andere Person nicht sympathisch finden. Dass Nächstenliebe sich aber auch auf die Blödmänner und Zimtzicken bezieht, ist ebenfalls wahr. Und: Wen haben Sie jetzt vor Augen, bei dem Ihnen jetzt nicht als Erstes einfällt: »Da wäre gelebte Nächstenliebe aber eine leichte Sache?«

Ich frage mich: passt Nächstenliebe zu leben eigentlich noch in unsere Zeit? Individualität und Vereinzelung sind das neue »Goldene Kalb« unserer Tage. So erleben wir in Vereinen, Chören, Kirche ein Ausbleiben des Nachwuchses – wenn das »Ich« alles ist, war das »Wir« gestern.

Was helfen kann

Im Christentum geht es um mehr. Anstelle einer Horde einsamer Individualisten bilden wir eine Gemeinschaft von Menschen, die miteinander Glauben leben und gestalten. Nächstenliebe bringt diese Gemeinschaft zum Blühen.

Den Nächsten zu lieben bedeutet aber, mehr als nur Toleranz zu üben. Das Wort Toleranz bezeichnet ursprünglich, etwas zu ertragen, etwas zuzulassen, auch wenn es der eigenen Position nicht entspricht.

Es ist vielleicht deshalb so herausfordernd, Nächstenliebe zu leben, weil es über bloße Toleranz hinausgeht. Nächstenliebe heißt, mindestens innerlich einen Schritt auf diejenigen hin machen, denen wir eher den Rücken kehren möchten. Unser Glaube kann uns helfen, dass dies mehr als nur ein frommer Gedanke bleibt. Christentum ist eine Möglichkeit, aus Gottes Liebe zu schöpfen, wo unsere eigene zu klein ist – mit dem Predigttext gesagt: »Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat.«

Glaube ist eine Grundlage, Nächstenliebe zu üben. Ein erster Schritt kann dazu sein, das Gespräch zu suchen, wo Beziehung zum Stillstand gekommen ist. An vielen Orten herrscht »Funkstille«: in wie vielen Straßen grüßen Nachbarn sich nicht; an wie vielen Arbeitsplätzen gibt es Menschen, die einander die »kalte Schulter« zeigen … wir finden uns sicher alle darin wieder. Dabei gilt, mit einem Augenzwinkern gesagt, doch auch, dass Lächeln die netteste Art ist, seinen Mitmenschen die Zähne zu zeigen. Hoffentlich schaffen wir es, ein Lächeln zu wagen, wo sonst nichts mehr ist! Und hoffentlich ist dies ein erster Schritt auf dem Weg zu einem besseren Miteinander.

Schluss

Der Predigttext schließt mit den Worten, dass wir einander lieben sollen, weil Gott uns geliebt hat. Das ist anspruchsvoll, finde ich. Man könnte es als eine Art »moralische Keule« hören; dies wäre aber nicht hilfreich. Ich deute es lieber als »positive Verstärkung«: Wenn Gott mich liebt, kann ich das auch weitergeben. Dies zu versuchen, könnte jedenfalls nicht schaden. Und was wäre, wenn wir alle dies immer wieder probierten? Wir würden als Kirche ein Aufsehen erregen, das viele uns heute gar nicht mehr zutrauen.

Im Ersten Johannesbrief haben wir von Liebe gehört – nicht ein wenig, sondern ganz konzentriert. Wir haben überlegt, was Gottes Liebe für uns heißen kann und was dies bedeutet. In unserer Zeit wird Vereinzelung und Individualität so sehr betont, dass das Gemeinsame mittlerweile in vielerlei Belangen zu kurz kommt.

Es braucht wenig, anders zu handeln: Ein Lächeln, eine freundliche Geste, ein gutes Wort, ein Gruß – das alles sind Anfänge. Also: fangen wir an, »damit aus Fremden Freunde werden«.2 Gott schenke es uns.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Lied: Damit aus Fremden Freunde werden


  1. Vgl. Art. Agape in WiBiLex, wiss. Bibellexikon, https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/agape/ch/d6e3607b52740114fac653e494679b13/, abgerufen am 07.03.2023. ↩︎

  2. Text und Melodie: Rolf Schweizer 1982. Siehe auch https://www.youtube.com/watch?v=2tmVnrLelqU, abgerufen 08.03.2023. ↩︎

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