Leben kann ganz neu werden. Dem einen wird Speichel auf die Augen getan, der andere wird mit Wasser getauft. Der eine sieht den Wald vor Bäumen nicht, der andere hat bis jetzt nicht viel gesehen. Und beide Male ist Jesus derjenige, der eine neue Perspektive, buchstäblich einen neuen Blick schenkt.

Predigt über Markus 8,22–26: Glaube als Sehhilfe

Marginaltext am 12. Sonntag nach Trinitatis, in Wiedenest mit Taufen und Derschlag. Veröffentlicht 27.08.2023, Stand 15.12.2023, 1180 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Taufe – eine neue Perspektive

Liebe Gemeinde, wie schön, dass wir heute wieder Kinder taufen durften! Taufe ist die Grundlage eines Christenlebens. Schon von der frühen Christenheit wissen wir: Wer zum Glauben kommt, lässt sich taufen und tritt so in die weltweite Gemeinschaft derer ein, die zu Jesus Christus gehören – Kirche. Taufe ist also in unserer je eigenen Glaubensgeschichte ein Meilenstein.

Als ich dies schrieb, fragte ich mich selbst: Wie schön, dass Du so grundsätzliche Dinge nochmals zusammenfasst. Aber wie ist es eigentlich um Deine eigene Taufe bestellt? Die ist ja ein paar Jahre her. Wie ist eigentlich Dein Taufspruch? Da fiel mir auf, dass ich das gar nicht weiß. Im Familienstammbuch steht es notiert. Wie ist das bei Ihnen: kennen Sie Ihren Taufspruch? Wissen Sie noch, wer Ihre Patin, ihr Pate ist? Haben Sie noch Kontakt? – Ich denke, heute Nachmittag werden einige Schubladen geöffnet und vielleicht auch ein paar Telefonate nach diesen Fragen geführt werden – viel Freude dabei!

Der Wiedenester Taufstein, 12. Jahrhundert.

Der Wiedenester Taufstein aus dem 12. Jahrhundert.

Taufe jedenfalls bedeutet, in religiöser Hinsicht, einen Neubeginn. Leben wird anders, wenn wir wissen, zu Gott zu gehören. So vieles kann im Leben geschehen, damit meine ich auch gerade die Situationen, in denen die Sorgen und die Aufregung groß sind. Wenn Taufe heißt, zu Gott zu gehören, kann uns dies gerade in solchen Situationen tragen. Gott hält zu mir, gibt mir Kraft, lässt mich auch auf schwierigen Wegen nicht allein – das kann helfen, so etwas durchzustehen.

Diese Glaubensgewissheit führt zu einer neuen Perspektive. Wer so glaubt, weiß sich bei allem Zweifel getragen.

Im Predigttext zum heutigen Sonntag geht es auch um eine neue Perspektive. Ich lese aus Kapitel 8 des Markus-Evangeliums:

Und sie kamen nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden und baten ihn, dass er ihn anrühre. Und er nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf, spuckte in seine Augen, legte ihm die Hände auf und fragte ihn: Siehst du etwas? Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen umhergehen, als sähe ich Bäume. Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht und konnte alles scharf sehen. Und er schickte ihn heim und sprach: Geh aber nicht hinein in das Dorf!
— Markus 8,22–26 (Lutherbibel 2017)

Gott, wir danken Dir für Dein Wort. Sende Deinen Heiligen Geist, dass wir es fassen und zum unsrigen machen. Amen.

Zu glauben heißt, Gottvertrauen zu wagen

Liebe Gemeinde, Jesus führt den Blinden aus dem Dorf heraus, nach draußen, wo niemand ist und zusehen kann. Und er verbietet ihm, in das Dorf zurückzukehren. Weshalb dieser Ortswechsel? Weshalb macht Jesus nicht eine Riesenshow, ganz großen Bahnhof, daraus? Das ist doch was: Da ist jemand blind und Jesus heilt ihn. Das würde die Leute von ihm überzeugen.

Jesus macht dies nicht. Dass er den Kranken sehend macht, sieht niemand. Und der einstmals Blinde? Wie es mit ihm danach weiterging, erfahren wir nicht.

Vermutlich sind unsere Begegnungen mit Jesus Christus ähnlich vertraulich abgelaufen, ohne viel Tamtam. Vermutlich tun sie das immer noch. Es sind doch eher die leisen Töne, die erklingen, wenn es um Glauben geht. Dann ist das vielleicht ein Gebet, wenn wir Gott für etwas danken oder ihm eine Sache ans Herz legen. Und viel sehen tut man auch nicht.

Der Blinde hat am Ende eine buchstäblich neue Perspektive bekommen. Die Augen waren ihm aufgetan: jetzt konnte er sehen, erkennen, einordnen und vorausblicken. Das ist, was unser Glaube uns ermöglicht:

  • anders auf die Welt zu schauen.
  • Mehr Geduld mit anderen zu haben – wenn es klappt.
  • Mit Vertrauen in die Zukunft zu gehen – wenn der Zweifel uns nicht überwältigt.
  • Und, vor allem, in den »Dürrezeiten« nicht zu verdursten, sondern zu erleben, wie Gott Kraft gibt.

Wie gesagt: am Ende der Heilung war dies vielleicht so. Doch so einfach, wie das klingt, war es nicht. Unser Leben mit Gott ist dies auch nicht. Zweifel und Sorgen gehen oft Hand in Hand und wir sehen Gott dann nicht.

Glaube muss seine Konturen finden

Den Blinden konnte Jesus nicht auf Anhieb heilen. Erstaunlich, nicht wahr? Wieso ist dies so? Was war die Ursache dafür, dass Jesus nicht einfach – wie mit einem Fingerschnippen – alles anders machen konnte?

Wie war das bei uns, als wir uns entschlossen haben, Vertrauen auf Gott zu wagen? Wenn uns unser Glaube wichtig wird, geht damit einige Beschäftigung einher. Glaube wird doch meist gewagt, weil er der Vernunft vielfach zu widersprechen scheint. In unserer Zeit wird Glaube sogar zunehmend bestritten und viele wenden sich davon ab, weil andere ihnen Druck machen: »Ach, Du bist noch in der Kirche? Also nein …«, solche Zeitgenossinnen und Zeitgenossen kennen wir alle, die sich in vermeintlicher Überlegenheit zu uns herablassen.

Wenn wir uns mit unserem Glauben beschäftigen, sehen wir auch meist nicht klar. Wäre es doch so eindeutig, wie wenn Jesus vor einem steht! Der Apostel Thomas wollte seine Wundmale betasten, weil er Zweifel hatte und so sind wir doch auch. Glauben heißt Vertrauen zu wagen, weil es eben keine Gewissheit im mathematischen Sinn gibt.

Unsere »Glaubenssicht« ist verschwommen. Den Gegenstand unseres Glaubens, Gott, sehen wir nicht klar. Mit dem Herzen können wir ihn fassen, doch unser Herz hat »Tagesform«.

Zu glauben ähnelt deshalb einer »verschwommene Sicht«, weil Gott verborgen ist. In mancher Lebenssituation verstellen uns die Umstände den Blick auf Gott, lassen ihn so weit entfernt scheinen, dass wir ihn gar nicht mehr fassen können. Und dann gibt es die anderen Situationen, wenn wir – doch meist in der Rückschau – erkennen, wo Gott uns ganz nah war, wir behütet und getragen wurden. Dann wird es »hell und klar«, dann sehen wir mehr als nur Umrisse, weil unser Glaube kräftig und konturiert ist.

So ging es auch dem Blinden, als er es gewagt hat, sich von Jesus die Augen öffnen zu lassen. Das ist Glaube: ein Augenöffner, durch dessen Hilfe wir die Welt anders sehen können.

  • Vielleicht sehen wir dann nicht nur Fremde, sondern Mitmenschen.
  • Vielleicht sehen wir dann nicht nur das Misslungene, sondern würdigen auch die Versuche.
  • Vielleicht sehen wir nicht nur die Schwierigkeiten, sondern auch, dass Gott uns auf dem Weg nicht allein lässt.

Schluss

Liebe Gemeinde, Glaube als Augenöffner und Chance zu einer anderen Perspektive ist etwas Wunderbares. Gott sei Dank, dass er uns dies schenkt! In der kommenden Woche werden wir sicher auch Herausforderungen wie Stille, Stress, schwierigen Begegnungen und Sorgen erleben. Lassen Sie uns dann versuchen, Gottes Nähe zu uns auch darin zu erkennen. Er schenke uns Augen, die ihn nicht aus dem Blick verlieren.

Martin Luther soll, so wird erzählt, sich in seinen Zweifeln und seinem Gott nicht oder nur verschwommen Sehen an seiner Taufe festgemacht haben. Da haben wir auch »Flüssigkeit« auf den Kopf bekommen. Erinnern wir uns daran, und versuchen wir, die Zweifel »abzuwaschen«, wenn sie uns das Glaubensleben schwer machen.

Und der Friede Gottes, der höher als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

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