Keine Freiheit ohne Bindung – doch wie ist das richtige Verhältnis? Und was gilt in Glaubensdingen? Die Erzählung, wie Mose von Gott die Zehn Gebote bekam, illustriert dies und lässt uns nach unserer Bindung und dem, was uns heilig ist, fragen.

Predigt über 2. Mose 19,1–12.16–19: Freiheit und Bindung

Zweite Predigt in der Ferienpredigtreihe 2023 Stadt – Land – Fluss. Veröffentlicht 02.07.2023, Stand 15.12.2023, 1414 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Liebe Gemeinde, in den Sommerferien haben wir dieses Jahr die Predigtreihe Stadt – Land – Fluss. In dieser zweiten Predigt daraus geht es um den Berg Sinai in Ägypten. Hören wir den Predigttext aus Kapitel 19 des Zweiten Mosebuchs, Exodus:

Ankunft am Sinai
Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, an diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai … und lagerten sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge.
Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.
Mose kam und berief die Ältesten des Volks und legte ihnen alle diese Worte vor, die ihm der HERR geboten hatte. Und alles Volk antwortete einmütig und sprach: Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun. Und Mose sagte die Worte des Volks dem HERRN wieder. Und der HERR sprach zu Mose: Siehe, ich will zu dir kommen in einer dichten Wolke, auf dass dies Volk es höre, wenn ich mit dir rede, und dir für immer glaube. Und Mose verkündete dem HERRN die Worte des Volks.
Und der HERR sprach zu Mose: Geh hin zum Volk und heilige sie heute und morgen, dass sie ihre Kleider waschen und bereit seien für den dritten Tag; denn am dritten Tage wird der HERR vor allem Volk herabfahren auf den Berg Sinai. Und zieh eine Grenze um das Volk und sprich zu ihnen: Hütet euch, auf den Berg zu steigen oder seinen Fuß anzurühren; denn wer den Berg anrührt, der soll des Todes sterben.
Der Herr erscheint
Als nun der dritte Tag kam und es Morgen ward, da erhob sich ein Donnern und Blitzen und eine dichte Wolke auf dem Berge und der Ton einer sehr starken Posaune. Das ganze Volk aber, das im Lager war, erschrak. Und Mose führte das Volk aus dem Lager Gott entgegen, und es trat unten an den Berg. Der ganze Berg Sinai aber rauchte, weil der HERR auf den Berg herabfuhr im Feuer; und sein Rauch stieg auf wie der Rauch von einem Schmelzofen, und der ganze Berg bebte sehr. Und der Posaune Ton ward immer stärker. Und Mose redete, und Gott antwortete ihm laut.
— Exodus 19,1–12.16–19 (Lutherbibel 2017)

Ankunft am Gottesberg – die Grenze zwischen heilig und profan

Diego Girón, Pexels.

Diego Girón, Pexels.

Liebe Gemeinde, was wir gerade gehört haben, klingt wie eine Vorlage für einen Actionfilm, bei dem die Special Effects-Abteilung sich so richtig austoben darf. Doch so filmreif es klingt, stellt es doch Typisches christlich-jüdischer Vorstellungen zur Unterscheidung des Heiligen vom Alltäglichen vor.

Um den Berg ist eine Grenze gezogen: bis hierher und nicht weiter! Und wer diese Grenze überschreitet, wird sein Leben verlieren.

Wenn Sie nachher aus der Kirche gehen, dann achten Sie doch einmal auf das umliegende Gelände (externe Landkarte). Die Martin-Luther-Straße führt um die Kirche herum, ist durch eine bald zwei Meter hohe Mauer abgetrennt, so viel höher steht der eigentliche Kirchhof. Auf der anderen Seite ist der Weg zum Martin-Luther-Haus und oben begrenzt das alte Küsterhaus den Kirchhof.

Wir sind »auf dem Berg«, mit dem Bild aus dem Predigttext gesagt, und wir leben noch. Hier ist der Raum Gottes, der heilige Bezirk, vom äußeren weltlichen, dem profanen unterschieden. Profan, das kommt vom lateinischen pro fanum, heißt übersetzt vor dem Heiligtum. Fast alle Kirchhöfe sind so vom weltlichen Bereich abgetrennt, haben eine Umfriedung oder eine mindestens subtile Abtrennung vom anderen Raum.

Seit alters her sind Kirchen deshalb Zufluchts- und Schutzorte. Wer sich im Alten Testament an die Hörner des Altars flüchtete, durfte nicht angetastet werden. Heute gibt es immer noch die Institution des Kirchenasyls, mit der zu Unrecht Verfolgte geschützt werden können. Hier ist der Raum für das Heilige, Haus Gottes.

Bleiben wir noch etwas mit Mose am Heiligen Berg, den das Volk nicht betreten darf. Weil wir durch Christus zu Gott gehören, ist hier unser Ort, ist hier seit fast einem Jahrtausend ein Ort, Gott zu begegnen.

Wenn wir vor Gott kommen, geht es nicht mehr um Äußerlichkeiten, sondern um unser Innerstes. Mit dem Mose am Gottesberg wird die Frage nach unserem Innersten, unserem Zentrum gestellt. Worum kreise ich? Was ist meine Mitte, der archimedische Punkt im Leben, mein Herz? Woran darf niemand rühren? Und was ist für mich mehr als nur ein Wort, was trägt mich im Leben durch, wenn meine Sicherheit ins Wanken gerät?

Das sind Fragen, die Menschen sich auch hier, in dieser Kirche stellen. Und Gott hört uns, denn »der Geist selbst tritt für uns ein.« (Röm 8,26)

Unsere »goldenen Kälber«

Im Fortgang des Predigttextes empfängt Mose die Zehn Gebote, die für Israel die Außengrenze um den Raum des Heils, darin sie sind, darstellt. Wir haben in der Taufe Anteil am Geist Gottes bekommen, gehören zu ihm und sind in diesem Raum des Heils. Das kann uns im Innersten zusammenhalten, wenn die Welt uns »rüttelt und schüttelt« und wir nur »dunkle Wolken« sehen.

Hier, in unserem Text, sind wir noch unten am Berg. Für den dritten Tag kündigt Gott an, wie in einer dunklen Wolke verborgen, auf die Bergspitze herabzukommen. Gott will seinem Volk Regeln zu gelingendem Leben geben. Diese Regeln sollen sie von den anderen Völkern unterscheiden. Es sind Regeln in Bezug auf das Verhältnis der Menschen zu Gott und Regeln für das Miteinander im Alltag.

Anspruch und Zuspruch sind darin ineinander verschränkt. Gott weist darauf hin, ein eifernder – ein eifersüchtiger – Gott zu sein, wenn es um sein Wort geht. Er erwartet, dass die Menschen es zu erfüllen versuchen, das ist der Anspruch. Der Zuspruch ist, dass Leben gelingt, wenn man dies schafft und dass man nahe bei Gott bleibt, wenn man die Gebote nicht übersteigt, sondern versucht, sie einzuhalten.

Als Mose vom Berg herunterkam (vgl. ab Ex 32), fand er das Volk aber nicht in stiller Andacht vor. Seine vierzig Tage auf dem Berg waren ihnen zu lang geworden, die Geschichte mit Gott allzu schnell vergessen.

Aus ihrem Schmuck hatten sie sich ein goldenes Kalb gegossen, ein Götzenbild, das ganz greifbar und unmittelbar zu sehen war. Dieses beteten sie an und feierten wild und ausgelassen. Als Mose es sah, schleuderte er die Gebotstafeln auf das Goldene Kalb, das zerstört wurde.

Was sind unsere goldenen Kälber? Was beherrscht uns, unser Leben? Die Erzählung vom Goldenen Kalb nimmt dieses Thema anschaulich auf. Sie ist so kurz, dass sie regelrecht einlädt, dass wir sie als ein Beispiel nehmen und unseren Platz darin suchen.

»Mein Haus, mein Auto, mein Boot«, so protzten in der Werbung vor vielen Jahren zwei Männer voreinander, gaben mit ihren Reichtümern an. Welche Dinge nehmen wir so bedeutend, dass sie uns eigentlich vom Leben abhalten, uns gefangen nehmen und knechten?

Christus greift ein Wort aus dem Fünften Mosebuch auf, wenn er sagt: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.« (Mt 4,4; Dtn 8,3)


Liebe Gemeinde, mit Mose sind wir auf die Berge in unserem Leben geklettert, haben die anstrengenden Fragen bedacht, die uns den Alltag häufig schwer machen. Wir haben das Innen und Außen in den Blick genommen, das diese Erzählung durchzieht, das sich in der Gestaltung um praktisch jede Kirche wiederfindet und ein Bild für unser Leben ist.

Wir haben auch auf unsere »Goldenen Kälber« geschaut: Das, was uns heilig ist und die Kraft hat, Gott aus dem Inneren unseres Herzens in ein Außen zu stellen.

Israel erlebte Gott damals als einen fernen Gott und der Zugang zu ihm war exklusiv geregelt: nur Mose durfte auf den Berg, sonst niemand. Vielleicht sollten wir da, wo Sorgen uns den Blick auf Gott verstellen oder er uns fern und unzugänglich scheint, besonders auf die Suche gehen. Glaube ist wie eine Bergtour, strengt an und allzu leicht »rutscht man ab«, verliert den Halt im Glauben. An der Geschichte Israels sehen wir: Es lohnt sich, immer wieder »zuzupacken«.

Und der Friede Gottes, der höher als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

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