Was prägt unsere Perspektive – auf das Leben, auf das, was zählt, auf Gott? Jesus Christus nachzufolgen geht mit einem Perspektivwechsel einher. Das ist einerseits schwierig, andererseits aber befreiend.

Predigt über Lukas 18,28–30: Perspektiven

Am 16. Sonntag nach Trinitatis, 20. September 2015, in Bernberg. Veröffentlicht 20.09.2015, Stand 06.09.2022, 1746 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Liebe Gemeinde, »Geh aus, mein, Herz, und suche Freud« haben wir gerade gesungen. Vielleicht ein wenig gewagt, angesichts der Jahreszeit. Doch ich finde, dass dieses Lied wunderbar zum Thema dieser Predigt über Lukas 18 passt, die ich »Perspektiven« überschrieben habe.

Was uns prägt

Was prägt eigentlich unsere Perspektive, unsere Sicht auf diese Welt?

  • Da sind doch an erster Stelle unsere Eltern zu nennen. Wenn wir geboren werden, sind sie unsere ersten Kontaktpersonen. Sie lehren uns die ersten Worte, zeigen uns, was gut und was gefährlich ist und wie man sich anderen Menschen gegenüber verhält. Sie prägen uns für unser ganzes Leben, bis hinein in unseren eigenen Erziehungsstil – wer schon einmal für kleine Kinder verantwortlich war, hat vielleicht mit Schrecken entdeckt, genauso streng wie seine eigenen Eltern zu sein. Nicht nur Werte und Normen, sondern die ganze Lebensperspektive wird durch die Eltern geprägt.
  • Schule und Lehrer sind die nächsten Instanzen, die bei der Prägung unserer Weltsicht entscheidend mitwirken. Wenn auch vieles in der Schule nicht für alle Zeit gelernt wird, so nimmt man doch mit dem, was man behält, gutes »Gepäck« für das ganze Leben mit.
  • Nicht zuletzt prägen die Medien unsere Perspektive auf diese Welt ganz entscheidend. Zeitungen, Radio, Fernsehen und Internet berichten aus der ganzen Welt. Doch erreichen uns nicht objektive, vorurteilsfreie Informationen, sondern solche, die durch die Perspektive des Verfassers deformiert sind. Man stelle sich nur einmal die Schlagzeilen zum selben Ereignis in der FAZ und dem Express oder Bild vor, dann merkt man sehr deutlich, dass es nicht um Information, sondern um den Verkauf von Information geht. Und wir kaufen solche Informationen und übernehmen sie in unser Weltbild.

Eine wichtige Perspektive habe ich bisher nicht erwähnt: unseren Glauben. Und der ist eine Perspektive, die wahrlich nicht von dieser Welt ist – die auf Unverständnis stößt. Schon in einem antiken römischen Wachlokal fand man eine Darstellung, die Jesus Christus als Esel darstellt. Seine Perspektive, zu geben statt zu nehmen, zu lieben statt zu hassen, zu helfen, statt sich um nichts zu kümmern, stieß damals wie heute die Menschen vor den Kopf.

So erleben auch wir, dass unser Glaube uns anderes lehrt als die Medien, die Schule und, manchmal, auch als unsere Eltern. Hier prallen Perspektiven aufeinander, gilt es, sich zu entscheiden. Immer wieder, denn auch im Alltag stehen wir wiederkehrend vor Entscheidungen. Da gibt es dann die Möglichkeit, Christus nachzufolgen in unseren Entscheidungen oder eben anders zu handeln. Und manchmal, wenn man meint, in Christi Sinn gehandelt zu haben, fragt man sich, ob man nicht besser anderes getan hätte.

Ein Blick auf »Nachfolge«

Im Predigttext hören wir ähnliches:

Lk 18,28–30 Petrus sagte: »Schau, wir sind dir gefolgt, wobei wir alles, was unser war, verlassen haben.« Er, Jesus, sagte zu ihnen: »Amen, ich sage euch: es gibt niemanden, der Haus, Partner, Geschwister, Eltern oder Kinder um des Reiches Gottes willen verlassen hat, der sie nicht vielfach zurückerstattet bekommt in dieser Zeit und in der kommenden ewiges Leben.«

Gott, wir danken Dir für Dein Wort. Sende Deinen Heiligen Geist, dass wir es fassen und zum unsrigen machen. Amen.

Petrus weist Jesus darauf hin, was es für seine Jünger heißt, nachzufolgen. Sie hatten alles hinter sich gelassen, ihre Familien, ihr Eigentum, ihre Berufe. Im Vertrauen waren sie Jesus nachgefolgt.

Gerade habe ich Beispiele genannt, wie unsere Perspektive auf unser Leben zustande kommt. Was müssten wir aus diesem Wissen heraus über die Jünger Jesu eigentlich sagen?

Ich meine: gut wegkämen die nicht. Jemand, der auf bloßen Zuruf eines Unbekannten Hab und Gut verlässt und durch die Lande zieht, kann doch nicht normal sein. So etwas ist unverständlich. Andererseits erfahren wir in den Evangelien: ganz so extrem geschah die Nachfolge der Jünger auch nicht. Jesus hielt sich weiten Teils in Galiläa auf, das seine Heimat und die seiner Jünger war. So waren auch die Jünger nicht endgültig fort; der Evangelist Markus erzählt zum Beispiel, dass Jesus eines Tages zu Gast in Petrus’ Haus war und dessen kranke Schwiegermutter heilte (vgl. Mk 1). So entwurzelnd, wie es im Predigttext anklingt, war die Nachfolge nicht.

Was aber richtig ist, ist das: Nachfolge war nicht einfach. Etwas blieb doch dabei auf der Strecke. Die Jünger haben eben, wenn auch nicht alles, so doch eine ganze Menge aufgegeben. Sie haben ihren Blick auf Jesus gerichtet – das war ihre Perspektive.

Petrus’ Hinweis auf den Verlust ist an dieser Erzählung das einzig normal Erscheinende. Unsere Perspektive gründet auf Soll und Haben: Wie viel Geld und Sicherheit habe ich und ist das auch ja genug? Das ist der Blick, mit dem wir es gewohnt sind, auf die Welt zu schauen.

Die Jünger Jesu hatten sich über diese Perspektive hinweggesetzt. Nur in Petri Frage bricht sie noch einmal durch.

Jesu Antwort mag da erstaunen: »Es gibt niemanden, der nicht in diesem Leben ein Vielfaches dessen zurückbekommt, das er verlassen hat – und darüber hinaus das ewige Leben« (VV. 29f). Nicht nur vielfache Zurückerstattung verheißt er, sondern darüber hinaus auch noch ewiges Leben!

Was für eine Antwort! Stellen Sie sich das doch einmal vor: Jesus und seine Jünger sprechen, vielleicht irgendwo draußen unter freiem Himmel, über Nachfolge: Petrus fragt, Jesus antwortet und – nichts weiter. Keine weitere Nachfrage von einem der Jünger wird überliefert.

Da möchte man den Evangelisten Lukas doch schütteln für sein Frage-Antwort-Nichts-Schema. Gerade jetzt wird es doch spannend: Was werden die Jünger gesagt, gefragt, gedacht haben? Sie hatten ja wirklich sehr viel aufgegeben für Jesus. Und nun hören sie: Das alles – und noch viel mehr – bekommt ihr zurück!

Lässt Lukas uns im Dunkeln tappen, wie die Reaktion der Jünger gewesen sein mag, so setzt er mit dem Fortgang der Geschichte noch eins drauf:

Lk 18,31–34 Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und mißhandelt und angespien werden, und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen. Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war.

Gerade noch hatte Jesus den Jüngern Abgeltung aller Entbehrungen versprochen, und im nächsten Satz erwähnt er, dass er jetzt zu seiner Hinrichtung ginge. Das klingt nicht nach einer zukunftsfähigen Perspektive, finde ich.

Zweitausend Jahre später sehen wir: Es war eine zukunftsfähige Perspektive. Obwohl sie nicht auf Soll und Haben und persönliche Vorteile geschaut hat.

Nachfolge heute

Heute sind wir die Jüngerinnen und Jünger Jesu. Wir wissen: Wir sollen Jesus nachfolgen. Und das heißt auch, eine Perspektive zu entwickeln, die nicht bei Soll und Haben stehen bleibt. Keine leichte Aufgabe, im Gegenteil.

Fragen, ja, müssen wir nicht aufgrund unserer anerzogenen Perspektive fragen: Was ist denn die Gegenleistung für Nachfolge?

Wir kennen die Antwort alle. Es ist dieselbe, die Jesus seinen Jüngern damals gegeben hat. Sie gilt auch uns heute. Um ein Beispiel zu nennen:

Sicherlich hat schon die ein oder der andere unter uns die Erfahrung gemacht, dass man schief angesehen wird, wenn man sagt: »Ich glaube an Jesus Christus«. Und die Erfahrung, dass Menschen sich deshalb abgewandt haben. Da hat man doch in der Nachfolge etwas auf der Strecke gelassen. Die überreiche Rückerstattung? Wie wäre es damit: In unserer Gemeinde, die nur ein winziger Teil der weltweiten Christengemeinschaft ist, haben wir Menschen, die uns nicht aufgrund unserer Nachfolge verachten, sondern Weggemeinschaft mit uns haben.

Eben der verstörende Nachsatz Jesu, dass er auf dem Weg zu seiner Hinrichtung wäre, zeigt noch mal überdeutlich: Nachfolge ist kein Zuckerschlecken, keine einfache Tätigkeit. Dass Jesus genau das nach seiner Antwort auf Petri Frage nachsetzt, zeigt zugleich den großen Ernst seiner Antwort von der vielfachen Erstattung: Er hat es nicht nötig, in großen Worten auszumalen, wie das vonstattengehen wird. Überzeugungsarbeit zu leisten. Jesus wusste um die Gültigkeit seiner Verheißung. Indem er sich von den römischen Besatzungstruppen hinrichten ließ, erfüllte er das schon von den Propheten verkündigte Wort über Gottes Weg, uns Menschen mit sich zu versöhnen. Jesus garantierte für die Gültigkeit seiner Worte mit seinem Leben. Und es genügt für den, der sie hört, zu glauben.

Wie Nachfolge gelingen kann

Mit dieser Perspektive kann Nachfolge geschehen, mit allen Schwierigkeiten, die das mit sich bringt. Ich höre das auch als eine Befreiung von der Soll-und-Haben-Perspektive, die wir durch kulturelle Prägung alle vermittelt bekommen haben. In dieser Welt ist das nun einmal so.

Diese Perspektive fahren zu lassen, dürfte zu den schwierigsten Dingen des Lebens gehören. Wir haben sie mit der Muttermilch eingesogen. Und wir sind es gewohnt, nach mehr zu streben: nach größerem Einfluss, nach mehr Sicherheit, nach mehr Vermögen. Ist uns das nicht möglich, werden wir paradoxerweise unzufrieden.

Ich sage paradoxerweise, weil wir im Regelfall nur auf das sehen, was zu fehlen scheint. Was man alles schon hat, wird meist außer Acht gelassen. Das ist, gewissermaßen, eine verzerrte Perspektive. Es fehlt eigentlich an nichts: wir haben ein Dach über dem Kopf, genug zu Essen. Und darüber hinaus vieles an Luxus. Und trotzdem reicht das meist nicht, will man mehr.

Der römische Historiker und Philosoph Seneca sagte zu dieser Haltung einmal Folgendes: »Unwillig klagst du und willst nicht einsehen, dass bei allem, was du beklagst, nur eines von Übel ist: dein Unwillen und deine Klagen. Nur ein Unglück gibt es für einen Mann, nämlich dass es Dinge in seinem Leben gibt, die er als Unglück ansieht.« (Seneca, epistolae morales).

Indem wir unsere Soll-und-Haben-Perspektive pflegen, verlieren wir das Eigentlich aus den Augen und werden unzufrieden angesichts des Überflusses. Dass Nachfolge auch bedeuten kann, erst einmal Dinge aufzugeben, davon freizuwerden, bekommt mit solch einer Perspektive einen faden Beigeschmack. Nachfolge wird so ein schweres Gut.

Die ersten Jünger Jesu waren nur zwölf Menschen. Sie hatten sich davon befreit, ihr Leben am Kontostand oder irgendwelchen Konventionen festzumachen und waren Jesus nachgefolgt. Sie haben einiges hinter sich gelassen, und das war ihnen auch sehr wohl bewusst, stieß manchmal sauer auf.

Das Vertrauen auf Gott, dass er sie erhalten werde, hat ihnen das Nachfolgen möglich gemacht – nicht in Luxus, sondern mit dem, was ein Mensch zum Leben braucht. Gott ist es, der den Garten Eden (vgl. die Schriftlesung, 1. Mose/Genesis 2,4–14) und diese Welt geschaffen hat, der uns am Ende der Zeit wieder bei sich leben lässt und der uns hier und jetzt bei dem erhält, was wir brauchen.

Ihm sei Ehre in Ewigkeit, Amen.

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