Predigt über Markus 3,31–35: Jesu Familie

Am 13. Sonntag nach Trinitatis, 18. September 2011. Veröffentlicht 17.09.2011, Stand 06.09.2022, 1562 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Liebe Gemeinde, was sind eigentlich die hässlichsten Streitigkeiten, die Sie kennen?

Hoppla, denken Sie jetzt vielleicht, was ist das denn für ein Predigteinstieg … lassen Sie mich deshalb die Frage selbst beantworten: Ich meine, dass die hässlichsten Streitigkeiten die sind, die sich innerhalb der Familie ereignen – da, wo man sich eigentlich bedingungslos vertrauen und an einem Strang ziehen sollte. Dass man einander ganz besonders gut kennt, macht es im Falle von Streit dann auch oft besonders hässlich.

Im Predigttext für den heutigen dreizehnten Sonntag nach Trinitatis hören wir eine Szene, die an Familienstreit erinnern könnte. Da bricht jemand aus dem Schema aus, das da heißt: zuerst die Familie.

Ich lese den Predigttext aus dem Markusevangelium, Kapitel drei:

Markus 3,31–35 Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.

Gott, wir danken Dir für Dein Wort. Sende Deinen Heiligen Geist, dass wir es fassen. Amen.

Wechselbad der Gefühle

Liebe Gemeinde, versetzen Sie sich doch einmal kurz in Maria hinein. Wie wäre das für Sie, wenn Ihnen – ein Beispiel – ein Familienmitglied sagt: Mir sind alle anderen wichtiger als du? Oder, wie im Predigttext: Alle anderen sind mir genauso wichtig wie du.

Nicht wahr, das ist ein ziemlicher Schlag ins Gesicht. Die Erfahrung, wenn eine Partnerschaft zerbricht, man verlassen wird, ist vielleicht so etwas – das können die Meisten unter uns nachvollziehen.

Schauen wir einmal auf die andere Seite, die hinter diesem Satz Jesu steht – ein Beispiel dazu:

Stellen Sie sich vor, Sie hätten sich Konzertkarten für eine Vorstellung Ihres Lieblingsstars gekauft: Sie stehen in der Menge vor dem Saal an und dann werden Sie vom Darsteller persönlich abgeholt und in die Loge begleitet. Wie wäre das denn?

Liebe Gemeinde, im Predigttext geht es um genau so eine Situation. Da werden die »Bauern geadelt«, da werden alle Unterschiede gleich gültig gemacht. Jesus Christus – er macht deutlich: Ich bin für alle Menschen gleichermaßen gekommen, die mit mir zu tun haben wollen. Und was die Familie angeht: alle, die zu mir gehören, sind meine Familie.

Wie zuvor erwähnt: Das ist etwas ganz Tolles für alle, die so als Dazugehörend erachtet werden. Doch für Jesu echte Familie wird dieser Satz eben alles andere als erfreulich gewesen sein.

Wenn man die Evangelien liest, kann man immer wieder entdecken, dass viele Worte Jesu einen größeren Tiefgang haben und über die Situation, in die hinein er sie gesagt hat, hinausweisen. Und die Eindeutigkeit, ja: Schroffheit, die in manchen seiner Aussagen steckt, zeigt: Es geht hier um ganz Grundsätzliches, Entscheidendes.

Bezweifeln wir ruhig, dass Jesus seine Familie in dieser Situation beleidigen wollte. Die wusste ja, dass er noch eine andere Herkunft hatte: Der Engel im Stall hatte Maria schon vor seiner Geburt darauf hingewiesen.

Vor diesem Hintergrund können wir Jesu Wort anders verstehen. Sein Familienbegriff ist viel weiter und bezieht sich nicht auf den leiblicher Verwandtschaft.

Jesu Familie: die Seinen – Kirche

Familie ist für Jesus ein Raum. Zugehörigkeit zu Gott – sie eröffnet diesen Raum. Für uns ist das die Taufe, denn durch unsere Taufe kommen wir hinzu, oder anders gesagt: werden wir zu Gliedern der Familie Gottes.

Das Abendmahl ist dann sozusagen die Familienfeier, der Ort, in dem alle zusammenkommen und Gott besonders begegnen können – egal, welchen Alters man ist, wo man zur Welt gekommen ist, wo man wohnt oder welchen Beruf man hat. Gottes Familie ist groß und weitverzweigt und eine Verbindung jenseits von Kulturen, Sprachen und sozialen Normen.

Der Name dieser Familie ist Kirche. Kirche ist die in der Welt sichtbare Verbindung der Menschen, die zu Jesus Christus gehören. Als Jesus im Predigttext darauf hingewiesen wird, dass seine Familie draußen auf ihn warte, »antwortete [er] ihnen und sagte: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.«

Kirche ist Jesu Familie und die der Ort der Gemeinschaft derer, die zu ihm gehören.

Liebe Gemeinde, ob Kirche als Institution – denken wir einfach einmal an die Geschichte der Kirche – immer Gottes Willen getan hat, ist leicht mit Nein richtig beantwortet. Logisch, dass es auch deshalb Menschen gibt, die mit Kirche nichts zu tun haben wollen.

Freilich: Wo Menschen sich als Christen verstehen, aber meinen: »Beten kann ich auch zu Hause«, treffen sie nicht das, was gemeint ist. Lothar Zenetti erzählt dazu folgende Geschichte:

In jener Zeit kam einer zu Jesus und begann zu fragen: »Meister, wir alle wissen, dass du von Gott kommst und die Wege der Wahrheit lehrst. Aber was deine Jünger angeht, dein Gefolge oder deine Gemeinschaft, wie du das nennen magst – so muss ich gestehen, dass mir das nicht besonders zusagt, im Gegenteil. Erst kürzlich hatte ich wieder eine heftige Auseinandersetzung mit einem deiner Getreuen. Und wie jeder weiß, sind sich deine Jünger untereinander auch nicht immer einig. Ich möchte deshalb ganz offen fragen: Kann man nicht auch so zu dir gehören, ich meine: ohne besondere Beziehungen mit deinen sogenannten Anhängern zu unterhalten. Ich möchte dir schon folgen und sozusagen ein Christ sein, aber ohne die sogenannte Gemeinde, ohne Kirche und all das …!?«
Da sah ihn Jesus aufmerksam an. »Hör zu«, sagte er dann, »ich will dir eine Geschichte erzählen:
Da waren ein paar Männer, die saßen eines Tages im Gespräch zusammen. Als nun der Abend kam und die Dunkelheit hereinbrach, trugen sie Holz herbei zu einem Holzstoß und entfachten ein Feuer. Da saßen sie miteinander, die Glut des Feuers wärmte sie, und der Schein der Flammen erhellte ihre Gesichter. Da war aber nun einer unter ihnen, der wollte nicht länger im Kreis bei den anderen sitzen, sondern für sich allein. So nahm er einen brennenden Holzspan vom gemeinsamen Feuer und setzte sich damit abseits, fern von den andern. Der glimmende Span leuchtete auch ihm und strahlte Wärme aus. Bald aber ließ die Glut nach, und der alleinsitzende Mann spürte erneut die Dunkelheit und die Kälte der Nacht. Da besann er sich und nahm das schon erkaltete Stück Holz und trug es zurück in die Glut des großen Feuers, wo es sich erneut entzündete und Feuer fing und zu brennen begann. Und der Mann setzte sich wieder in den Kreis der andern. Er wärmte sich auf, und der Schein der Flammen erhellte sein Gesicht.«
Und Jesus fügte hinzu: »Wer zu mir gehört, ist dem Feuer nahe. Ja, ich bin gekommen, um das große Feuer auf der Erde zu entzünden, und wie sehr sehne ich mich danach, es hell auflodern zu sehen!«1

Nein, es gibt aus christlicher Sicht keinen Ersatz für Kirche und mit dem »Ich kann auch allein zu Hause beten« ist es nicht weit her. Und andersherum – die Filmfreunde unter uns werden es erraten: Wie nennt man denn eine Gemeinde, die sämtliche missionarischen Bestrebungen eingestellt hat? Richtig: das Schweigen der Lämmer.

»Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter« schließt der Predigttext. Es geht darum, Gottes Willen zu tun. Hier liegt doch die Schwierigkeit, die Kirche hat, wenn es um die Umsetzung von Gottes Willen geht. Kirche ist auch die Gemeinschaft von Menschen und wo Menschen arbeiten, werden Fehler gemacht. So ist das, andernfalls wären wir schon im Himmel.

Zu Christus zu gehören hat Folgen

Der Predigttext weist nicht nur darauf hin, dass wir Gottes Familie sind. Er ergänzt, dass das Folgen hat. Dass eine dieser Folgen heißt, diese Gemeinschaft zu pflegen und sich nicht unnötig rar zu machen, haben wir gehört.

In der Evangelien-Lesung2 ging es um den »barmherzigen Samariter«. Priester und Levit, beides angesehene Leute, ignorierten den am Boden Liegenden. Der Mann aus Samarien – und die Samaritaner waren in der Gesellschaft eher verachtet – half. Diese Geschichte erzählt Jesus auf die Frage »Wer ist mein Nächster« und schließt »handle du ebenso«.

Liebe Gemeinde, es gibt genügend Möglichkeiten für uns, Samariterinnen und Samariter zu werden. Oder anders gesagt: Wo wir uns bewusst sind, dass wir zu Gottes Familie gehören, können wir auch durch unsere Taten ein Stück Himmel auf die Erde holen.

Eine Legende erzählt: Als Christus zum Himmel aufgefahren war, fragten ihn die Engel, wie es denn nun mit seinem Reich auf der Erde weitergehen solle.
»Ich habe doch meine Jünger auf Erden«, antwortete Christus.
Aber die Engel sahen, wie unbedeutend, wie schwach und verzagt die Jünger waren, und fragten erschrocken: »Herr, hast du denn wirklich keinen anderen, keinen besseren Plan?«
Und Christus entgegnete: »Nein – einen anderen Plan habe ich nicht.«3

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


  1. Lothar Zenetti: Die wunderbare Zeitvermehrung, München 4. Auflage 1994. ↩︎

  2. Lk 10,25–37. ↩︎

  3. Uwe Seidel et al. ed., Das Brot ist der Himmel, Düsseldorf 1985. ↩︎

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