Gelegentlich findet man die Aussage, die Corona-Pandemie wäre eine Strafe Gottes. Eine Gegenposition.

Nachgedacht: Corona ist keine Strafe Gottes

Veröffentlicht 02.05.2020, Stand 10.07.2022, 865 Wörter.

Gelegentlich stolpert man über diese Aussage: Gott solle angeblich die COVID-19-Pandemie als Strafe über die Menschheit gesandt haben. Weshalb dies ebenso falsch wie kaum evangelisch ist, thematisiert dieser Artikel.

Was für eine entsetzliche Behauptung: Gott habe SARS-CoV-2 in die Welt gesetzt, um die Menschheit zu bestrafen. Als Religionslehrer habe ich einem Kurs im ersten Oberstufen-Jahr während der Schulschließung die Aufgabe gegeben zu dokumentieren, wie Kirche sich in der Corona-Krise zeigt und handelt. Als ich mehrere Arbeiten zurückbekam, in denen Schülerinnen und Schüler beim Recherchieren auf diese Behauptung gestoßen waren, erschrak ich. Wir haben später im Kurs eine Videokonferenz zu diesem Thema durchgeführt, denn so etwas kann man nicht so stehen lassen.

Wo kommt so eine Behauptung her?

Tatsächlich findet man im Internet diese Aussage. Ein Beispiel: der Metropolit der russisch-orthodoxen Kirche in Deutschland hat im März ein Sendschreiben veröffentlicht, wo er diesen Zusammenhang herstellt.1 Als Gründe nennt er einen Versuch der Menschen, Gott zu ersetzen, Euthanasie und Nichtbeachtung des Unterschieds zwischen Mann und Frau. Er fragt: »Erstaunt es da, dass ständig neue Krankheiten auftauchen, und dass es gegen sie keine Heilmittel mehr gibt, die das Los der Infizierten lindern würden?« und fordert im Fortgang zu Buße auf, damit Gott die Strafe zurücknehme.

Die Russisch-Orthodoxe Kirche hat in Deutschland ungefähr eine Viertelmillion Mitglieder, ist also nur dreimal so groß wie unser Kirchenkreis. Dennoch sind von einem obersten Vertreter einer Konfession solche Stellungnahmen irritierend und haben entsprechenden Widerstand geerntet. Der religionspolitische Sprecher einer Bundestagsfraktion wähnte diese Äußerung als aus dem Mittelalter stammend.2

Ein weiteres Beispiel: Die unabhängige Evangelische Nachrichtenagentur idea ist dieser Frage in einem Online-Artikel nachgegangen.3 Der Leiter eines evangelikalen Bonner Bibelseminars vertritt darin (pro) die These, dass Corona eine göttliche Strafe sei, Begründung: Viele Menschen lebten gottlos und in schweren Sünden wie »Stolz, Lüge, Pornographie, Diebstahl, Homosexualität usw. [… deshalb] schickt Gott Strafen.«

idea stellt dem jedoch auch eine andere (contra) These gegenüber: Dass das Virus kein göttliches Werkzeug, sondern Teil der Natur sei und nicht für einen »Abfall von einem gottgefälligen Lebenswandel bestraft.«

Was ist denn jetzt richtig?

Bild

»Ich bin's; fürchtet euch nicht!« (Joh 6,20b). Collage 2020 M. Platten

Richtig ist, dass es offensichtlich Mitmenschen gibt, die diese Position vertreten – manche brauchen sie, die apokalyptischen Reiter, wie in Dürers Bild. Diese Vorstellung wird jedoch von der Mehrheit nicht geteilt. Die römisch-katholische, die evangelische und die orthodoxe Bischofskonferenz in Deutschland (der allerdings die russisch-orthodoxe Kirche in Deutschland neben sechs anderen orthodoxen Kirchen angehört) haben im März ein gemeinsames Wort unter der Überschrift »Beistand, Trost und Hoffnung« veröffentlich.4 Darin heißt es:

»Als Christen sind wir der festen Überzeugung: Krankheit ist keine Strafe Gottes – weder für Einzelne, noch für ganze Gesellschaften, Nationen, Kontinente oder gar die ganze Menschheit. Krankheiten gehören zu unserer menschlichen Natur als verwundbare und zerbrechliche Wesen. Dennoch können Krankheiten und Krisen sehr wohl den Glauben an die Weisheit und Güte Gottes und auch an ihn selbst erschüttern. Krankheiten und Krisen stellen uns Menschen vor Fragen, über die wir nicht leicht hinweggehen können. Auch wir Christen sind mit diesen Fragen nach dem Sinn menschlichen Leids konfrontiert und haben keine einfachen Antworten darauf. Die biblische Botschaft und der christliche Erlösungsglaube sagen uns Menschen jedenfalls zu: Gott ist ein Freund des Lebens. Er liebt uns Menschen und leidet mit uns. Gott will das Unheil nicht. Nicht das Unheil hat darum das letzte Wort, sondern das Heil, das uns von Gott verheißen ist.«

Die Direktorin des katholischen Bibelwerks bringt dies in einem Satz auf den Punkt: »Gott straft nicht, sondern Gott rettet.«5

Das Problem solcher Behauptungen

Auf evangelisch.de, dem Internet-Portal der Evangelischen Kirche in Deutschland, schreibt der Redakteur Frank Muchlinsky: »Ich mag es ja gar nicht glauben, aber es gibt tatsächlich Leute, die meinen, die Corona-Pandemie sei eine Strafe Gottes. Noch unglaublicher finde ich, dass die Leute, die so etwas behaupten, auch gleich wissen, wofür Gott die Menschheit hier angeblich bestraft … Gott straft die Menschen für das, was man selbst schon immer für falsch hielt6

Weiterhin weist er darauf hin, dass Corona dann eine Kollektivstrafe für die vermeintlichen Verfehlungen einiger weniger wäre – dies ist schwer mit dem Gedanken an einen gerechten Gott vereinbar.

Gott ist gerade im Schweren bei uns und nicht gegen uns

Corona als Strafe Gottes zu glauben ist nicht verboten. Es nimmt aber das Erlösungshandeln Gottes in Jesus Christus nicht ernst: in Christus sind wir zum Leben befreit. Martin Luther bezeichnete uns als »zugleich Sündigende und Gerechtfertigte«: obwohl wir immer wieder schuldig werden, nimmt Gott uns in Christus an. Dies schließt vermeintliche Bestrafungen wie durch die Corona-Pandemie aus.

Lassen Sie uns lieber darauf vertrauen: auch wenn gerade die ganze Menschheit in nie dagewesener Weise unter einer Infektionskrankheit leidet, ist Gott an unserer Seite. Von ihm können wir im Gebet Kraft erhalten und sicher begegnet Gott uns auch, wie der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm schreibt, in den Leidenden und auch den Helfenden. Bringen wir alle, die in so unterschiedlicher Weise an dieser Pandemie leiden, in unserer Fürbitte vor ihn.


  1. https://www.hiobmon.org/2020/03/20/sendschreiben-des-metropoliten-von-berlin-und-deutschland-mark-an-den-klerus-die-m%C3%B6nche-und-nonnen-und-alle-gl%C3%A4ubigen-bez%C3%BCglich-der-ausbreitung-des-corona-virus/ (abgerufen am 02.05.2020). ↩︎

  2. https://taz.de/Russisch-Orthodoxe-mit-Brandbrief/!5672951/ (abgerufen am 02.05.2020). ↩︎

  3. https://www.idea.de/glaube/detail/ist-die-corona-pandemie-eine-strafe-gottes-112446.html (abgerufen am 02.05.2020). Idea hat diesen Inhalt gelöscht, er findet sich aber noch im Internet Archive: https://web.archive.org/web/20200815193707/https://www.idea.de/glaube/detail/ist-die-corona-pandemie-eine-strafe-gottes-112446.html (abgerufen am 02.12.2020). ↩︎

  4. https://www.ekd.de/gemeinsames-wort-der-kirchen-zur-corona-krise-54220.htm (abgerufen am 02.05.2020). ↩︎

  5. https://www.vaticannews.va/de/kirche/news/2020-03/corona-virus-kirche-strafe-gott-wilmer-bedford-bibelwerk-deutsch.html (abgerufen am 02.05.2020). ↩︎

  6. https://www.evangelisch.de/inhalte/167079/13-03-2020/ist-corona-eine-strafe-gottes-das-haettet-ihr-wohl-gern-kommentar-frank-muchlinsky (abgerufen am 02.05.2020). Hervorhebung durch Verf. ↩︎

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