Volkstrauertag – das heißt auf Krieg zu blicken und auf Frieden zu hoffen. Hiob hat die Hoffnung in der schlimmsten Situation festhalten können. Hoffnung – jedes Ende ist nur etwas Vorläufiges.

Predigt über Hiob 14,1–17: Hoffnung – allen Abbrüchen zum Trotz

Am Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres, Volkstrauertag, 17.11.2019, in Wiedenest. Veröffentlicht 17.11.2019, Stand 13.02.2024, 1652 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde, Mitte November zeigt der Herbst allmählich seine fiesen Seiten: Dunkelheit und eine Kälte, die selbst durch die wärmste Hose langsam nach oben kriecht, wenn man zulange draußen ist. Dazu passt auch der heutige Predigttext.

Ich lese aus der Lutherbibel Kapitel 14 des Buches Hiob:

Hiob 14,1–17 (Lutherbibel 2017) Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut. (7–12) Denn ein Baum hat Hoffnung, auch wenn er abgehauen ist; er kann wieder ausschlagen, und seine Schösslinge bleiben nicht aus. Ob seine Wurzel in der Erde alt wird und sein Stumpf im Staub erstirbt, so grünt er doch wieder vom Geruch des Wassers und treibt Zweige wie eine junge Pflanze. Stirbt aber ein Mann, so ist er dahin; kommt ein Mensch um – wo ist er? Wie Wasser ausläuft aus dem See, und wie ein Strom versiegt und vertrocknet, so ist ein Mensch, wenn er sich niederlegt, er wird nicht wieder aufstehen; er wird nicht aufwachen, solange der Himmel bleibt, noch von seinem Schlaf erweckt werden. (13–17) Ach dass du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn sich legt, und mir eine Frist setzen und dann an mich denken wolltest! Meinst du, einer stirbt und kann wieder leben? Alle Tage meines Dienstes wollte ich harren, bis meine Ablösung kommt. Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. Dann würdest du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde. Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen.

Gott, wir danken Dir für Dein Wort. Sende Deinen Heiligen Geist, dass wir es fassen und zum unsrigen machen. Amen.

Zeitbezug?

Liebe Gemeinde, heute ist Volkstrauertag. Vielerorts werden heute an den Kriegerdenkmälern Kränze für die Soldaten niedergelegt, die im Ersten oder Zweiten Weltkrieg gestorben sind. Es geht dabei um eine Zahl an Menschen, die zu groß ist, als dass man sie fassen kann. Das Gedenken an alle Opfer von Krieg ist heute ein Thema – und das andere auch: die Hoffnung, dass es nie wieder Krieg geben möge.

»Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht«, heißt es im Predigttext. Das beschreibt eine Wirklichkeit, die zu Krieg passt, denn unsere Sterblichkeit wird in diesen Naturbildern nur allzu deutlich umschrieben. Und doch passt dieses Bild so überhaupt nicht, wenn es um Krieg geht: da ist nichts Natürliches und es geht nicht darum, alt und lebenssatt zu Gott heimzukehren.

Christiane Nolting erzählt zu einem dieser Kriege folgende Geschichte:

Kalavrita
Es ist der 4. September 2018, es ist sehr warm, die Sonne scheint vom blauen Himmel, 16 Deutsche entsteigen dem Bus in Diakofto, einem Ort auf dem Peloponnes unten am Golf von Korinth. Wir erobern die beste Eisdiele Griechenlands und steigen dann fröhlich in die kleine Zahnradbahn, die uns nach einer atemberaubenden Fahrt durch eine wilde Schlucht hoch in die Berge nach Kalavrita bringt …
Über Kalavrita lesen wir: Auf dem Peloponnes stoßen die Deutschen während des 2. Weltkrieges auf Widerstand der Partisanen … Als Vergeltung für einen Partisanenüberfall auf deutsche Soldaten machen die Besatzer am 13. Dezember 1943 das Dorf dem Erdboden gleich. … Eine Gedenkstätte mit einem 12 m hohen, weißen Kreuz erinnert bis heute an das Massaker der Deutschen.
Auf dem Ziffernblatt der Turmuhr der Kirche sind seit dem Massaker die Zeiger auf 13:34 Uhr stehengeblieben. In den Räumen der alten Grundschule befindet sich jetzt das Museum „Haus unserer Helden". Jedes Jahr am 13. Dezember versammeln sich die Einwohner Kalavritas unterhalb des Kreuzes. Der 477 Opfer wird durch das Verlesen ihrer Namen gedacht.
Am 4. April 2000 besuchte der deutsche Bundespräsident Johannes Rau Kalavrita und legte am Mahnmal einen Kranz nieder. Unsere kleine Gruppe steht jetzt auf dem Hügel mit dem weißen Kreuz, das von jeder Position des Tals und des Ortes aus sichtbar ist. In der Mitte der Anlage steht als Betonskulptur eine trauernde Mutter. Das Gelände zeigt in großen weißen griechischen Steinlettern die Inschriften „Nie wieder Krieg" und „Frieden". …
Übrigens: Die griechisch-nationalistische Bewegung, die großen Zulauf hat, die sogenannte ‚Goldene Morgenröte‘ wie sie in Griechenland heißt, hat in Kalavrita 42 % der Stimmen bei der letzten Wahl bekommen. Auch das ist der Nährboden, der neue Brandherde auf alte setzt …1

»Nie wieder Krieg!« ist das Motto, das am Ende steht. Doch die aktuelle Entwicklung, dass weltweit Populisten und Demagogen gewählt werden, spiegelt sich in dem Wahlergebnis in Kalavrita wieder.

Dasselbe erleben wir leider auch in unserem Land. Ging es in der Erzählung von Kalavrita darum, was im Namen des sogenannten »Dritten Reiches« geschehen ist, werden heute bei uns wieder Faschisten gewählt, die sich in ihrer Sprache und Ideologie bei den Nazis offen bedienen. Auch das ist eine »wohltemperierte Grausamkeit« und verdient ein unmissverständliches »Nein«.

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst.

Es kann auch eine tröstliche Vorstellung sein, dass Gott am Ende seiner Zeiten richten wird. Der Wochenspruch erinnert uns daran: »Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.« (2. Kor 5,10a)

Hoffnung

Der Predigttext spricht angesichts der schlimmen Situation des Hiob mehr als die Niederungen des Lebens und unsere Sterblichkeit an. Hiob hat alles verloren: Seine Kinder sind gestorben, sein Eigentum ist dahin und er selbst schwer krank. Ein beinahe trotziges »Dennoch« stellt er dagegen: Allem Unheil zum Trotz bleibt er an Gott, dies wird am Ende des Predigttextes deutlich:

… ein Baum hat Hoffnung, auch wenn er abgehauen ist; er kann wieder ausschlagen, und seine Schösslinge bleiben nicht aus. Ob seine Wurzel in der Erde alt wird und sein Stumpf im Staub erstirbt, so grünt er doch wieder vom Geruch des Wassers und treibt Zweige wie eine junge Pflanze.

Baumstumpf

Liebe Gemeinde, es gibt viele Dinge, angesichts derer wir verzagen: Gesundheit, Finanzen, die Veränderungen in Gesellschaft und Politik, Sorgen um Kinder und Familie können Gründe dafür sein.

An Hiob finde ich eines: eine ungebrochene Hoffnung, dass es am Ende gut werden wird. So ein Vertrauen wünsche ich mir auch, denn wie einfach ist es doch, das Glas halb leer zu sehen und stets mit dem »dicken Ende« zu rechnen.

Hiob macht es anders. Schlimmer als bei ihm hätte es nicht kommen können, da ist er einsam am Tiefpunkt allen Lebensglücks. Schlimmen Nachrichten diente er in der Bezeichnung »Hiobsbotschaft« als Namensgeber.

Hiobs »Nein« gegen alles Leid, sein Ausharren, finde ich bewundernswert. Diese Kraft wünsche ich mir auch für uns, dass auch wir es schaffen, den Niederungen des Lebens die Stirn zu bieten und die Hoffnung festzuhalten!

Wir leben in einer Zeit, in der Entwicklungen in unserer Gesellschaft zu Trennung und Unterscheidung statt zu Gemeinschaft und Miteinander führen.
Hoffen wir doch einfach darauf, dass das Pendel irgendwann am Scheitelpunkt angekommen ist und wieder umschlägt.
Hoffen wir, dass die Güte wieder in die Herzen einzieht und den Hass und die Ich-Sucht verdrängt.
Hoffen wir, dass unsere Gesellschaft wieder einen »Lebensraum« bildet, der diesen Namen verdient und nicht als nazistisch verunstaltete Vokabel wieder Wirklichkeit wird – dass der Friede bleibt.

Vor allem: lasst uns in der Hoffnung leben, die wir in Jesus Christus haben und das unser Handeln leiten – und dann durch unser Handeln ganz aktiv darauf hinwirken, dass schlechte Zustände sich bessern.

Denn: In was für einer Welt wollen wir leben? In was für einer Welt sollen unsere Kinder, Enkel, Urenkel aufwachsen? Und was können wir mit unserer kleinen Kraft tun, damit das hoffentlich gut wird?

Ein Erstes ist es, hoffnungsvoll zu leben. Weil Jesus Christus dem Tod und allem, was Tod gebiert, die Stirn geboten hat, können wir Hoffnung haben. Wenn er der Grund unserer Hoffnung ist, dann haben wir einen Halt, ein Fundament und eine Erdung, die bis an den Himmel reicht. Bringen wir also etwas »Himmel« dahin, wo Dunkelheit, Angst, Hass, Lüge, Sorge, Not oder Verzweiflung herrscht.


Liebe Gemeinde, in dieser dunklen Jahreszeit am zu Ende gehenden Kirchenjahr hat uns der Predigttext tief in einen Abgrund blicken lassen. Ganz unten haben wir Hiob gesehen, der sich nicht unterkriegen lassen hat. Im Vertrauen auf Gott ist er im schlimmsten Unheil heil geblieben. Mehr noch: er hat sich an seiner Hoffnung festgemacht wie an einem Seil, hat nicht losgelassen und ist am Ende wiederhergestellt worden.

So schließe ich mit dem Ende des Predigttextes, wo Hiob sagt:

Alle Tage meines Dienstes wollte ich harren, bis meine Ablösung kommt. Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. Dann würdest du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde. Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen.

Gott schenke uns solch ein Vertrauen und Kraft und Mut, darin zu leben. Die Osterkerze auf dem Altar erinnert uns, aller Novemberdunkelheit zum Trotz, daran: Jesus Christus ist das Licht der Welt, das alle Finsternis vertreibt, das Hoffnung und Frieden bringt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

Lied: eg 425,1–3 Gib uns Frieden jeden Tag


  1. Mit Kürzungen aus: Christiane Nolting, Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr, in: Werkstatt für Liturgie und Predigt, Ausgabe 9/2019, Aachen 2019, 369–376. ↩︎

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