Jesus erklärt, wer zu ihm gehört. Was das für uns bedeutet und wie wir unser Leben mit ihm gestalten können, ist das Thema dieser Predigt.

Predigt über Markus 3,31–43: Gottes Familie

Am 13. Sonntag nach Trinitatis, 15.09.2019, in Wiedenest. Veröffentlicht 15.09.2019, Stand 13.02.2024, 1692 Wörter.

Gottes Heiliger Geist sei mit Euch allen!

Liebe Gemeinde, Christinnen und Christen nennen wir uns, weil wir durch die Taufe zu Jesus Christus gehören. Die Taufe ist seit der Urgemeinde, von Anfang an, das Kennzeichen der Zugehörigkeit.

Wer gehört zu Christus? Diese Frage wird heutzutage je verschieden beantwortet. Sicher beantworten kann man die Frage, wer zur Kirche gehört, denn das ist eine rechtliche Frage und die ist geklärt: Wer getauft wurde, ist dabei Mitglied geworden – es sei denn, er oder sie ist aus- und nicht wieder eingetreten. Und Kirche ist die weltweite Gemeinschaft der Getauften, die zu Christus gehören. Das ist Kirche, ein »Haus« aus »lebendigen Steinen« (vgl. 1. Petr 2,5).

Wer gehört zu Christus? Im Predigttext beantwortet Jesus diese Frage selbst. Ich lese aus Kapitel 3 des Markus-Evangeliums:

Inzwischen waren Jesu Mutter und seine Geschwister gekommen. Sie blieben vor dem Haus stehen und schickten jemand zu ihm, um ihn zu rufen. Die Menschen saßen dicht gedrängt um Jesus herum, als man ihm ausrichtete: »Deine Mutter und deine Brüder und Schwestern sind draußen und wollen dich sprechen.« – »Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Geschwister?«, erwiderte Jesus. Er sah die an, die rings um ihn herum saßen, und fuhr fort: »Seht, das sind meine Mutter und meine Geschwister! Denn wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter.«
— Markus 3,31–43 (Neue Genfer Übersetzung)

Gott, wir danken Dir für Dein Wort. Sende Deinen Heiligen Geist, dass wir es fassen und zum unsrigen machen. Amen.

Jesus – (k)ein Familienmensch

Liebe Gemeinde, so harsch wie Jesus sich hier zeigt, scheint er kein Familienmensch zu sein. Ausgerechnet der Begründer der Religion der Gottes- und Nächstenliebe verhält sich hier recht lieblos.

Seine Familie jedenfalls hat er vor versammelter Mannschaft degradiert – ohne dass diese dabei waren, denn er ließ sie ja nicht zu sich vor.

Jesu Familie

Jesu Familie, die im Text genannt wird, klingt erstaunlich. Da heißt es in Markus 3,32: »Deine Mutter und deine Brüder und Schwestern sind draußen und wollen dich sprechen.«

Brüder und Schwestern werden da genannt. Nach Jesus hat Maria wohl weitere Kinder bekommen, ganz auf die herkömmliche Weise und ohne Heiligen Geist. Zahlreiche Kinder zu haben, war in der Antike üblich, wie in Deutschland noch zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts.

Jesus benutzt seine Familie als Gleichnis

Erstaunlich ist hier, wie Jesus mit seiner Familie umspringt. Jesus war in seiner Verkündigung oft drastisch. Denken Sie an die Bergpredigt, welch absolute und steile Ansprüche Jesus dort formuliert. Hier zielt der ganze Text auf die Pointe (in Vers 34b.f): »Seht, das sind meine Mutter und meine Geschwister! Denn wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter.«

Jesus kennt keine Gemeinde oder gar Kirche. Er ist an dieser Stelle im Markusevangelium noch in seiner Heimat Galiläa, im Norden Israels am See Genezareth. Erst vor Kurzem hat er angefangen, wirksam zu werden, zu predigen und zu heilen. Gottes kommendes Reich war das Thema seiner Verkündigung und dass es mit ihm als Gottes Sohn angebrochen ist. Davon hat er den Menschen erzählt, oft in Gleichnissen und Bildern.

Wie kann man von Gottes Reich sprechen? Doch nur wie Jesus es getan hat, in Gleichnissen. Jesus hat in diesen bildhaften Erzählungen das abstrakte, kaum greifbare Reich Gottes für seine Zuhörerinnen und Zuhörer versucht greifbar zu machen. Es waren gewöhnlich Bilder aus der Lebenswelt seiner Zuhörer. Für die Bauern gebrauchte er Bilder, die in der Landwirtschaft vorkommen. Für die, die mit Tieren arbeiteten, gebrauchte er das Bild vom Hirten. Und so weiter. Die Liebe Gottes erklärte er mit Familiengeschichten wie dem Gleichnis vom Verlorenen Sohn.

Jesus versuchte, mit Begriffen und Verhältnissen, die seine Zuhörerinnen kannten, das Reich Gottes be-greifbar zu machen.

Das geschieht auch im Predigttext. Dass Jesus sich so harsch gegenüber seiner Familie äußert und stattdessen seine vermutlich wildfremde Zuhörerschaft zu seiner Familie erklärt, ist solch ein Gleichnis. Jesus macht deutlich, dass die Sache mit Gott eine ernste ist. Das ist kein Spiel und Gott ist kein Apfelgott, den man nach Belieben benutzt oder sich macht.

Das ist die Pointe: Jesus will, dass wir mit Gott ernstmachen. Wer das tut, der gehört zu Gott und ist damit Teil seiner, Jesu, Familie. Deshalb verstehen Christinnen und Christen einander als Geschwister, denn durch die Taufe werden wir zugleich Teil einer neuen, Gottes, Familie.

Von den ersten Christen heißt es, dass sie das intensiv gelebt haben. Den Menschen im Umfeld der ersten Gemeinden fiel der liebevolle Umgang der Christen auf. Der römische Schriftsteller Tertullian zitiert ausgerechnet Kritiker der ersten Christen folgendermaßen:

»Siehe«, sagen sie [über die Christen; M.P.], »wie sie sich untereinander lieben« (…)«1

Jesus macht deutlich: in Gottes Reich gelten anderen »soziale Normen« als bei uns. Wer zu ihm gehört, ist Teil von Gottes Familie, die jenseits unserer Normen existiert. Rasse, Status, Milieu, Sprache, Herkunft usw. zählen in Christus nicht, wir alle sind in ihm Geschwister. In den ersten Gemeinden zeigte sich das, wenn die Sklaven neben ihren Herren gleichberechtigt saßen.

Ein Stück »Gleichberechtigung« kommt im Predigttext zum Tragen, wenn es da heißt: »Deine Mutter und deine Brüder und Schwestern sind draußen und wollen dich sprechen.« (V. 32) In der textkritischen Ausgabe des Grundtexts kann man feststellen, dass die Schwestern wohl in den Text hinein gemogelt worden sind. Nur die neueren Quellen nennen sie und in den qualitativ besseren, ursprünglicheren, fehlen sie.2 Erklären kann man das mit dem Schluss (V. 35): »Denn wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter.« Um an die dort tatsächlich genannten Schwestern anzuknüpfen, hat man sie schon im vorderen Teil eingefügt.

Doch diese philologischen Betrachtungen zur mutmaßlich ursprünglichsten Fassung des Predigttextes, so interessant sie auch sein mögen, sind gar nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass hier die Frauen genannt werden, die in der patriarchalisch geprägten antiken Gesellschaft keinen Sitz und keine Stimme hatten. Dass sie hier vorkommen und dass man in der Spätantike den Text um eine weitere Nennung ergänzte, transportiert nur eine Botschaft, nämlich die, die Jesus seiner Zuhörerschaft nahebringen wollte: Wer seinen Willen tut, gehört zu Gott, ist seine Familie. Und zwar unterschiedslos, egal ob Männlein, Weiblein, Sklave, Freier oder sonst was. (Vgl. Gal 3,26–28.) Das war es, was Jesus erklären wollte: dass Gottes Reich unsere engen Grenzen sprengt. Das soll bei den Seinen schon jetzt deutlich werden.

Was wir mit dem Text machen können

Eingangs fragte ich, wie wir bestimmen können, wer zu Jesus gehört. In der frühen Christenheit war die übliche Praxis, Menschen, die spürten, dazuzugehören, zu taufen. Heute leben in Deutschland circa 46 Millionen römisch-katholische und evangelische Christenmenschen, also Getaufte. Getauft zu sein ist das entscheidende Kriterium.

Jesu Worte erinnern uns, dass das noch nicht alles ist. Neben der Taufe gilt dies: »Wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter.« (Mk 3,35)

Es darum, dass ein Glaube ohne Werke als Folge eigentlich tot ist. Wenn Glaube nur ein Lippenbekenntnis ist, sich aber nicht in einer alltäglichen Praxis und Konsequenzen für die Lebensführung niederschlägt, dann ist das eigentlich kein Glaube. Nur weil ich behaupte, abzunehmen, werde ich ja nicht schlank.

Glaube soll nicht in einer Privatheit stehen bleiben, sondern im Alltag Geltung und Folgen haben.

Liebe Gemeinde, ich möchte keine Beispiele geben, wie wir unseren Glauben tatkräftiger leben können. Das führt allzu schnell zu dogmatischen Aussagen, die niemandem zustehen. Wir wissen selbst, wo wir unseren Glauben außen vor lassen oder an Stellen, wo man eine evangelische Perspektive durchaus einbringen könnte, lieber schweigen.

Christus sagt im Predigttext, wer zu ihm gehört: »Wer den Willen Gottes tut, gehört zu mir«. Wie können wir Gottes Willen tun? Einige Ideen habe ich:

  • Gottes Willen tun wir, wo wir versuchen, mit ihm zu leben. Das Beten gehört dazu. Das ist etwas, was wir pflegen und intensivieren können. Beten Sie vor den Mahlzeiten oder dem Schlafengehen? Das kann ein Anfang sein, die eigene Gebetspraxis zu stärken.
  • Gottes Willen tun wir, wo wir versuchen, mehr Himmel auf der Erde zu verwirklichen. Fair gehandelte Waren zu kaufen, ist ein Anfang, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Ausbeuterische Firmen auf ihren Waren sitzenzulassen, ist ein anderer Weg und hilft, diese nicht noch zu bestärken.

Das sind nur zwei Möglichkeiten, Nachfolge im Alltag stattfinden zu lassen.

Gemeinschaft

Mehr Gemeinschaft zu wagen, ist eine weitere: Christus spricht von Familie. Das kann Gemeinde sein, eine geistliche Heimat, eine geistliche Familie als Begegnungsort. Im Predigttext kommt Christus den Menschen nahe, ist ganz bei ihnen. Gemeinde ist ein Ort der besonderen Begegnung mit Christus. Wo Gottes Geist weht, »bläst er in die Segel« unseres Glaubens. Das gibt Kraft, Gewissheit. Das können wir in der Gemeinschaft erleben, im gemeinsamen Beten, Singen, Sprechen und nachher, wenn wir uns auf eine Tasse Kaffee treffen. Das Heilige Abendmahl, das wir gleich gemeinsam feiern, stärkt unsere Gemeinschaft mit Christus und untereinander als »Gottes Familie«, denn im Miteinander kann neues entstehen.

»Für wen bin ich der, die Nächste, wenn es ums’s Miteinander geht? Meinem Partner oder der Nachbarin, dem Menschen auf der Straße oder in Ost-Nepal?«
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Vielleicht am ehesten, wenn ich mit dieser Frage durch meinen Tag gehe: »Mal sehen, wem ich heute zum Nächsten werde.« Und dann lasse ich mich von mir selbst und meinem Herzen überraschen: Vielleicht spende ich der Diakonie Katastrophenhilfe oder Brot für die Welt oder nachher am Ausgang der DKMS, weil mich die Situation der Menschen in einem Land bewegt; vielleicht nehme ich mir Zeit für eine Freundin; vielleicht helfe ich jemandem, der mich gerade braucht. Viel kann geschehen, wenn ich die Augen öffne und mein Herz weit mache.3

Damit das immer wieder gelingt, stärke uns Gottes Geist.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

Lied: eg 390,1–3 Erneure mich, o ewig’s Licht


  1. Vgl. Tertullian, Apologeticus, Kap. 39. http://www.tertullian.org/articles/kempten_bkv/bkv24_08_apologeticum.htm#C39 (abgerufen am 14.09.2019). ↩︎

  2. So heißt Mk 3,32b im NTG.28: »ἰδοὺ ἡ μήτηρ σου καὶ οἱ ἀδελφοί σου ⸋καὶ αἱ ἀδελφαί σου⸌ ἔξω ζητοῦσίν σε.« Das »und Deine Schwestern« zwischen ⸋ ⸌ fehlt zum Beispiel in den älteren Codizes Samaritanus und Vaticanus, erst der Codex Bezae aus dem 5./6. Jahrhundert nennt sie. ↩︎

  3. https://www.kirchenjahr-evangelisch.de/article.php#823/viewport2 (abgerufen am 14.09.2019), mit Konjekturen. Ost-Nepal und DKMS waren Kollektenzwecke. ↩︎

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