Wer ist Gott? Jeder hat eine Vorstellung von ihm, doch so manches Gottesbild ist ganz schön schwierig, weil es verstellt, wer Gott ist.

Predigt über Hiob 14,1–6: Schwierige Gottesbilder

Am Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres, 11.11.2018 in Wiedenest. Veröffentlicht 11.11.2018, Stand 02.08.2023, 1634 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Liebe Gemeinde, welches Bild haben Sie von Gott? Anders gefragt: wenn Sie heute Nachmittag einem Nachbarskind erklären müssten, wer Gott ist: Was würden Sie sagen?

Wir alle machen uns ein Bild von Gott – wir haben eine Vorstellung davon, wie Gott sein muss. Eine Idee davon, wie er aussieht, verlieren wir meist im Laufe der Jahre. Dass Kinderbilder regelmäßig von einem bärtigen Mann auf einem Thron geziert werden, ist auch bekannt.

Und dann ist da ja noch das Abbildungsverbot. Da steht im Ersten Gebot1:

Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! – 2. Mose/Exodus 20,2–5a (Lutherbibel 2017)

Das ist nicht wörtlich zu verstehen. Es geht nicht darum, dass wir uns kein Bild vom Gott im Sinne einer eigenen Vorstellung von ihm machten. Christus selbst sagt, dass wir in ihm Gott erkennen können.2 Es geht darum, dass wir nichts vergötzen, also es zu einer Gottheit machen.

Das klingt einfach, aber wo wir nur auf Geld, Reichtum und Besitz schauen, ist das unser Gott. Dinge, denen wir Macht über unser Leben geben, vergötzen wir. Im Ersten Gebot geht es in Wirklichkeit um Freiheit, dass wir uns nicht unter die Macht von etwas oder jemanden stellen, der es nicht gut mit uns meint.

Unser Herz soll an Gott dem HERRn hängen, der uns in Jesus Christus frei macht. Und selbstverständlich dürfen wir uns von ihm ein Bild machen, ihn uns und seine Eigenschaften vorstellen. Umgekehrt: machten wir das nicht, was bliebe dann von Gott für uns übrig?

Gottesbilder sind also etwas, das wir haben, weil wir es brauchen.

Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten. Was, wenn unser Gottesbild ein schwieriges ist? Hören Sie den Predigttext, der ein kontroverses Gottesbild vermittelt. Ich lese aus dem Buch Hiob, Kapitel 14:

Was ist der Mensch, von einer Frau geboren? Sein Leben ist nur kurz, doch voller Unrast. Wie eine Blume blüht er und verwelkt, so wie ein Schatten ist er plötzlich fort. Und trotzdem lässt du ihn nicht aus den Augen, du ziehst ihn vor Gericht, verurteilst ihn! Du musst doch wissen, dass er unrein ist, dass niemals etwas Reines von ihm ausgeht! Im Voraus setzt du fest, wie alt er wird, auf Tag und Monat hast du es beschlossen. Du selbst bestimmst die Grenzen seines Lebens, er kann und darf sie niemals überschreiten. Darum blick weg von ihm, lass ihn in Ruhe und gönne ihm sein bisschen Lebensfreude! – Hiob 14,1–6 (Gute Nachricht Bibel)

Gott, wir danken Dir für Dein Wort. Sende Deinen Heiligen Geist, dass wir es fassen und zum unsrigen machen. Amen.

Haben Sie den Psalm (90) im Text wiederentdeckt? Der Predigttext spricht schmerzhaft aus, was uns immer wieder vor Augen gestellt wird: unsere Sterblichkeit. Alter und schwache Gesundheit sind solche »Augenöffner«, aber auch das Erleben, dass Menschen bei Unfällen oder durch Krankheiten auch in jungen Jahren sterben, manchmal ganz plötzlich und unerwartet. Dann ist er wieder da, der Gedanke: auch ich werde eines Tages sterben – hoffentlich in ferner Zukunft. Und normalerweise machen wir dann, nach ein paar morbiden Betrachtungen, mit dem Alltag weiter; gestorben wird später.

Der Predigttext thematisiert dies und es ist nicht von ungefähr, dass in der jetzt so dunklen, trüben Jahreszeit unsere Sterblichkeit aufs Tapet kommt.

Der Predigttext transportiert aber auch ein Gottesbild. Und was für eines! Wer ist Gott da? Wenn man nur diesen Text aus der Heiligen Schrift kennte, dann wäre Gott folgender:

  • Ein Gott, der den Menschen kritisch-lauernd beobachtet, um ihn zu verurteilen. (V. 3)
  • Ein Gott, der jedem schon vorgeburtlich die Lebensspanne zuteilt. (V. 5)
  • Ein Gott, der den Menschen trotzdem nicht in Ruhe lässt und ihm keine Lebensfreude gönnt. (V. 6)

Wenn die Giordano Bruno-Stiftung, diese radikalen Atheisten, eine »Bibel« herausgäben: Diese Stelle würde drin stehen. Es bleibt also spannend, wenn in einer Zeit, die Religion und Glauben immer mehr ins Private weist und aus dem gesellschaftlichen Leben herausdrängen will, so ein Text als Predigttext dran ist.

Wie Gott hier vorgestellt wird, passt mit unseren Vorstellungen nicht überein. Mehr noch: dieser Gott kann gar nicht Gott sein, weil er nicht das Gute, Lebensfördernde sucht, sondern auf Vernichtung aus ist. Wie eine kleinliche Buchhalterin scheint er, ein »Erbsenzähler des Todes«.

Ist das Gott? So ein Gottesbild finde ich unerträglich. Es macht krank, wenn Gott wirklich so wäre. Hier wird doch das Gegenteil dessen beschrieben, was Gott ausmacht! Hiob erfährt am Ende ja anderes und sein Gottesbild, das aus dem Leid geboren ist, wandelt sich dann.

Damit sind wir wieder beim Anfang, bei uns selbst. Wie ist mein Gottesbild? Was beeinflusst mein Gottesbild?

So viele Menschen nehmen ihr persönliches Geschick, um Rückschlüsse auf Gott zu ziehen. Der alte Soldat, der im Zweiten Weltkrieg schreckliches Leid mit ansehen musste, glaubte nicht mehr an Gott. »Wo war Gott da?« lautete seine Frage, »Wie konnte er das zulassen?«

Der Schriftsteller Jean-Paul Sartre schrieb: »Die Hölle, das sind die anderen.«3 Im Predigttext wird Gott als Marionettenspieler dargestellt, der unsere Lebensspanne bemisst, gierig auf unsere Fehler lauert, um uns anzuklagen, und damit ein rechter Feind ist.

Luthers Gottesbild

Dieser Gedanke ist nicht neu. Es ist das Gottesbild, das vor der Reformation vorherrschte.

Luther hat erkannt, dass Gott kein schrecklicher, strenger Richter ist. Der Römerbrief öffnete ihm die Augen.4 Mit der Reformation wurde dann ein ganz anderes Gottesbild transportiert, das die Menschen aufatmen ließ und sie frei machte. Eine neue Gotteserkenntnis brach sich die Bahn:

  • dass Gott in Jesus Christus eine Brücke zu sich baut.
  • Dass Gott gerade in der Not nicht fern, sondern an unserer Seite ist.
  • Und dass Gott nicht der Marionettenspieler ist, der unser Leben durchgeplant, getaktet und vorherbestimmt hat.

Paraphrase von Da Vincis Gemälde: Gott und Adam berühren sich mit ausgestreckten Zeigefingern

Hiob und der Marionettenspieler

Gott letztlich als so eine Art Marionettenspieler zu sehen ist, gerade in Gemeinden mit biblizistischer Schriftauslegung, ein häufiges Gottesbild. Da gibt es dann die Idee von »Fügung«, dass Gott alles vorherbestimmt habe.

Zurück zu dem alten Soldaten, von dem ich eben erzählte: Das hieße ja, dass Gott sein Leben vorherbestimmt hätte und ihm auferlegt hätte, übermenschliches Leid zu erfahren. Und dass er sich ihm dann entzogen hätte, sodass der arme Mann Gott gar nicht mehr finden konnte, allein gelassen blieb.

Das ist der Gedanke von »Fügung«. Und dann gilt es, Leid auszuhalten, es nicht zu hinterfragen und anzunehmen, vielleicht sogar noch dankbar dafür zu sein.

Schon ganz vorne in der Bibel schließt Gott mit uns Menschen einen Bund. Der allererste Bund Gottes ist der Bund mit Noah, der für die ganze Menschheit gilt. Gott verspricht darin, die Erde nie wieder zu zerstören.5

Der Gedanke an Fügung beinhaltet aber ebendies. Dann ist Gott der Gott, von dem wir im Predigttext hören. Leid gebiert Leid, und Elend lässt Hoffnung verdorren. Und es lässt einen mit einem Gott zurück, der keiner ist.

Freiheit hat Gott uns gegeben. Wir sollen uns die Erde dienstbar machen – nein, damit ist nicht unser sie Zerstören gemeint. Wir sollen als eine Gemeinde zusammenhalten: »Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen« (Gal 6,2) schreibt Paulus.

Gott ist der Gott, der uns die Freiheit geschenkt hat, unser Leben zu gestalten. Aber er ist nicht derjenige, der das Leid oder das Schlimme darin hervorruft oder gar »gefügt« hätte, vielleicht noch als perverse Glaubensprüfung. Gott ist nicht wie der Junge, der sich am Zerquetschen von Käfern ergötzt.

Gott macht uns frei

»Zur Freiheit hat uns Christus befreit!« (Gal 5,1) schreibt Paulus den Galatern. Ihm geht es dabei um die Freiheit vom jüdischen Gesetz, doch diesen Ruf können wir auch in Bezug auf falsche Gottesbilder hören.

Gott will nicht das Leid, sondern gelingendes Leben. Er führt uns nicht ins Leid, sondern sagt dazu: »Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.« (Jes 41,10)

Leid ist keine Glaubensprüfung, sondern ganz einfach nur etwas Schlimmes. Oftmals ist es etwas, das wir Menschen selbst hervorgebracht haben. Krieg, Hunger, Parteien in der Regierung, die kein Christ guten Gewissens wählen kann: Alles das sind unsere hausgemachten Probleme und wir selbst sind die Ursache.

Liebe Gemeinde, ein Gottesbild wie im Predigttext ist ein Affront. Wir aber sind auf Gott getauft, der für uns ein gutes Ziel bereithält. Bei ihm werden wir am Ende wieder sein, dort, wo es kein Leid mehr gibt.6 Mehr noch: wir haben die Verheißung, dass Gott auch im Schweren nicht von uns weicht. Das kann uns Kraft geben, darin nicht unterzugehen.

Ein Letztes: Damit diese Welt ein besserer Ort wird, sind wir doch aufgerufen, das uns Mögliche dazuzutun. Paulus schreibt: Einer trage des anderen Last. Einer der Leitsätze des Papstes Johannes Paul II. war: »Es gibt keine Freiheit ohne Solidarität, es gibt keine Freiheit ohne Liebe.«7 Das ist ein guter Satz, denn wo es uns gelingt, so zu handeln, entsteht Freiheit statt Leid. Dann sind wir »Botinnen und Boten an Christi statt«8, dann sind wir Jesu Hände und können zupacken, wo Menschen leiden. Dazu helfe uns Gott.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen. (Phil 4,7)


  1. Eine andere Zählung sieht dies als das Zweite Gebot, siehe auch https://www.ekd.de/Zehn-Gebote-10802.htm. ↩︎

  2. Vgl. Mk 14,62; Lk 22,70; Joh 6,38; 7,28f; 8,14–16.23.26–29.42.58; 12,44; 14,6.9.20; 16,27; 17,1–26. ↩︎

  3. L’enfer, c’est les autres, vgl. Ders., Huis Clos, Klett: Stuttgart 2001, 50. ↩︎

  4. Siehe besonders Röm 1,16f. ↩︎

  5. Vgl. 1. Mo/Gen 9,9–16. ↩︎

  6. Vgl. Offb/Apoc 21f. ↩︎

  7. Zitiert nach https://www.domradio.de/radio/sendungen/anno-domini/der-erste-papst-aus-osteuropa (abgerufen am 22.10.2018). ↩︎

  8. Vgl. 2. Kor 5,20. ↩︎

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