Die Reformation war wie ein Ölwechsel, wenn es darum geht, mit Jesus Christus zu leben.

Predigt über Matthäus 10,34–39: Nachfolge als »Reformation im Kleinen«

Am 21. Sonntag nach Trinitatis, 5. November 2017 in Gummersbach. Veröffentlicht 03.11.2017, Stand 06.09.2022, 1600 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Liebe Gemeinde,
der Alltag hat uns wieder – zumindest kirchlich. Das fünfhundertste Reformations-Jubiläum liegt hinter uns, Normalität kehrt wieder ein. Heute noch nicht – das möchte ich vorwegsagen.

In dieser Predigt möchte ich Sie mitnehmen, eine andere Perspektive auf »Reformation« einzunehmen. Bisher ging es stets um das Jubiläum und was damals, vor einem halben Jahrtausend, geschehen ist.

Ich finde, es wäre zu einfach, da jetzt einen Haken dran zu machen und das Thema bis zur nächstjährigen Empörung über das ruhen zu lassen, was gesellschaftliche Wirklichkeit geworden ist: Das Gros der jüngeren Leute feiert längst Halloween, ein mittelalterliches Geisterfest, das der Einzelhandel aus Irland re-importiert hat und das genau das thematisiert, was mit der Reformation überwunden wurde – eigentlich. Hirnverbrannten Blödsinn zu machen fällt eben leichter, als sich mit etwas zu Durchdenkendem wie Reformation auseinanderzusetzen.

Reformation ist etwas, das weitergeht – selbst in einer Gesellschaft, die ihre Wurzeln vergisst und gegen die folgende Leere ihre geistige Heimat durch anderes ersetzen muss. Reformation ist etwas, das bei uns als einzelnen Christinnen und Christen beginnt.

»Entzweiungen um Jesu Willen«?

Hören Sie den Predigttext aus dem Matthäus-Evangelium, Kapitel 10 – ich lese aus der Lutherbibel 2017:

Jesus Christus spricht: »Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.1 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.«

Gott, himmlischer Vater: Wir danken Dir für Dein Wort, das Du uns in Jesus Christus gesandt hast, damit wir aus der Dunkelheit in Dein Licht kommen. Öffne unsere Herzen und Ohren, indem Du nun zu uns sprichst. Amen.

Liebe Gemeinde, als ich den Predigttext das erste Mal am Montag las, dachte ich: nimm einen anderen Text als Grundlage. Was sollst Du der Gemeinde dazu predigen?

Der Predigttext ist Teil der Rede, die Jesus seinen Jüngern hielt, als er sie aussandte, zu den Leuten im ganzen Land zu gehen. Als Predigttext wäre so etwas wie Psalm 23, »Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir; Dein Stecken und Stab trösten mich« sehr viel angenehmer gewesen: gute, ermutigende Worte, die einem Kraft für die dunklen Stunden geben. Wir hören heute von Christus, dass er gekommen sei, um Krieg zu bringen und Familien zu spalten. Das Ganze garniert er mit dem Hinweis, dass, wer andere mehr liebte als ihn, seiner nicht würdig sei.

Ich denke, Sie merken mein Problem mit dem Predigttext. Wie schön wäre es, wenn ich Ihnen heute so eine schöne, gut anzuhörende Sonntagsrede halten könnte. Stattdessen hören wir einen Predigttext, in dem Christus dermaßen auf den Tisch haut, dass das ganze Haus wackelt. »Ich oder keiner« bedeutet, was er sagt, auf den Punkt gebracht.

Beim zweiten Hinsehen konnte ich diesem Text doch eine Sonnenseite abgewinnen. Zuerst einmal: Was Christus da sagt, ist ebenso radikal wie die Bergpredigt; darin hebt er die Messlatte auf das Niveau des Himmelreichs, was Nachfolge angeht. Diese Radikalität ist aber mehr ein Fingerzeig, kein Gesetz: in diese Richtung soll es gehen, diesem Ideal sollen wir zustreben. Zum Zweiten, und das ist meines Erachtens der Schlüssel, den Predigttext richtig zu hören: Jesus zitiert in dem Teil von der Entzweiung in der Familie den Propheten Micha aus dem Alten Testament. Wenn man auf Micha, seine Situation und seine Botschaft schaut, lernt man den Predigttext anders zu verstehen; dann wird aus diesen so schroffen, erschreckenden Worten eine andere Botschaft.

Das Micha-Zitat als Schlüssel: Verheißung, statt Vernichtung

Der Prophet Micha hatte Krieg und Untergang erlebt. Als im achten Jahrhundert vor Christus die Assyrer ihr Reich ausdehnten, nahmen sie auch das Nordreich Israel ein. Micha erlebte mit, wie innerhalb von zehn Jahren das Land unterging. Die Assyrer führten die Israeliten in Gefangenschaft, so wie es die Babylonier hundertfünfunddreißig Jahre später mit dem Südreich auch machten. Sie siedelten fremde Völker im Land an, die sie in anderen Kriegen besiegt hatten. Das Kalkül war, dass eine Durchmischung der Gesellschaft zu innenpolitischem Zwist führte und die Kraft, den Assyrern Widerstand zu leisten, dann nicht mehr vorhanden wäre. Modern gesagt: in der Antike war die Schaffung einer multikulturellen Gesellschaft ein Mittel der Kriegsführung. Die Gegensätze sollten das Volk zerreiben. In den USA wird derzeit untersucht, wie Russland im US-Wahlkampf durch soziale Netzwerke versuchte, Gegensätze zu verschärfen und das Land zu destabilisieren. Bei uns hat die AFD im Bundestagswahlkampf Ähnliches durch Verbreitung falscher Aussagen getan und Unfrieden, Verlustängste und Begehrlichkeiten geschürt.2

Micha erlebte den Untergang des Nordreiches aus seiner Heimat im Süden, in Juda, heraus. Der dortigen Gesellschaft und den Menschen in Jerusalem gilt seine Prophetenbotschaft. Seine Kritik war ein Gottesdienst, der nur noch in äußerlichen Gesten, aber ohne innere Beteiligung begangen wird. Dagegen sagt er:

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
Micha 6,8

Dem Südreich sagt er denselben Untergang an, der dem Norden schon widerfahren ist. Doch bei aller Unheilsansage gibt Micha auch Verheißungen weiter:

Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.
Micha 5,1

Micha hofft auf Wiederherstellung, dass alles wieder gut wird. Sein Blick geht nach oben und eben nicht nach unten.

Jesus zitiert Micha im Predigttext und was wir nur als schroffe Unheilsansage hören, steht nicht nur im Kontext einer Gerichtsansage, sondern auch in dem einer Heilsverheißung.

Micha schrieb weiter:

»Ich aber will auf den HERRn schauen und harren auf den Gott meines Heils; mein Gott wird mich erhören«
Micha 7,7

Den Hörerinnen und Hörern Jesu war der Prophet Micha und seine Botschaft bekannt und so haben sie das, was Jesus sagte, nicht so harsch gehört wie wir, die nicht darum wussten.

Da wir es nun wissen, hat das Folgen dafür, wie wir den Predigttext verstehen. Es geht nicht um »Nachfolge um jeden Preis«, sondern um Befreiung zur Nachfolge.

Nachfolge heißt, das eigene Leben zu »reformieren« – immer wieder neu

Nachfolge heißt, das eigene Leben zu verändern, für Gott offen zu sein und mit ihm zu leben oder, wie Micha schreibt, auf ihn zu harren.

Ich meine: Wo wir unser eigenes Leben zu verändern beginnen und anfangen, uns auf Gott auszurichten, beginnt eine »Reformation im Kleinen«. Und dann sind wir schon bei dem, was Christus im Predigttext sagt:

»Wer Vater oder Mutter mehr liebt3 als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.« (V. 37–39)

Wo wir anfangen, unser Leben auf Christus hin auszurichten, sind wir dabei, ihn zu »lieben«. Und dies ist auch mit der Liebe zu Eltern oder Kindern vereinbar.

Was als »Reformation im Kleinen« anfängt, lässt sich in größerem Maßstab fortsetzen: Was wir als Einzelne beginnen, können wir als Gemeinschaft – als Gemeinde – weiterführen.

Reformation bedeutet dann die Sorge dafür, dass wir als christliche Gemeinde danach streben:

  • Raum für das heilende Handeln Gottes zu eröffnen,
  • ihn in unserer Mitte zu feiern und
  • an seinem Reich mitzuarbeiten.

Das ist eine Fortsetzung der Reformation von vor 500 Jahren: was Luther als Einzelner erkannte, machte er zur Sache einiger, aus denen schnell viele wurden.

Heute ist es eine Massenbewegung, auch wenn die Ränder bröckeln und die Botschaft vom uns zugewandten Gott vielen egal ist.

Hier gilt es für uns auch wieder, im besten lutherischen Sinne ein »Priestertum aller Getauften« wahrzunehmen und von unserer Hoffnung weiterzuerzählen, das Licht unseres Lebens nicht unter den Scheffel zu stellen. Das kann – mit Jesu Worten gesagt – zur Entzweiung führen, kann Menschen gegeneinander aufbringen.

Als Jesus seine Jünger damals aussandte, wollte er seine Botschaft ausgerichtet wissen. In einer gottlos werdenden Zeit4 wünsche ich uns den Mut, das auch zu tun:

  • Gott ins Gespräch zu bringen,
  • mit unserer Hoffnung nicht hinter dem Berg zu halten und
  • Menschen in die Gemeinde einzuladen, weil hier ein guter Ort ist.

Als Gemeinde können wir etwas bewirken. Wenn Reformation weitergeht, dann kann das eine Gestalt sein: dass Christinnen und Christen »an einem Strang ziehen« und als Gemeinde eine Gemeinschaft nach dem Vorbild Jesu sind. Dahin zu kommen, immer mehr, wünsche ich uns.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Lied: Folgen, Leben mit Jesus hat Folgen


  1. Der von Verf. betont gesetzte Teil vom Matthäus 10,53f nimmt Micha 7,6 auf. ↩︎

  2. Vgl. http://faktenfinder.tagesschau.de/ausland/anzeigen-uswahlkampf-101.html (abgerufen am 02.11.2017). ↩︎

  3. Im Grundtext steht in diesem Vers beide Male φιλῶν – im Gegensatz zum überwiegend gebrauchten Verb agapao bezeichnet das hier gebrauchte phileo eine noch nähere Beziehungsebene als das m. E. eher zu erwartende agapao, übersteigt dies. ↩︎

  4. Mittlerweile wird – angeblich – sogar das Wort »Gott« von vielen Menschen abgelehnt, vgl. https://chrismon.evangelisch.de/nachrichten/36381/reportage-reihe-gott-und-die-welt-wird-umbenannt (abgerufen am 30.10.2017). ↩︎

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