Alles war verloren. Nachdem das Schlimmste vorüber war, suchten sie einen Neuanfang in ihrem alten Leben. Rückschritte führen zwar auf vertrautes Terrain, aber nicht immer zum Ziel: was sie fanden, war Leere. Dann aber kam alles anders – nicht einfacher, aber viel besser: voller Hoffnung, mit echtem Sinn und Inhalt erfüllt.

Predigt über Johannes 21,1–14: Déjà-vu oder »Zurück auf Anfang«

An Quasimodogeniti, 23. April 2017 in Wiedenest. Veröffentlicht 23.04.2017, Stand 13.02.2024, 2167 Wörter.

Lied vor der Predigt: Albert Frey, Zwischen Himmel und Erde

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Der Predigttext: Joh 21,1–14

Liebe Gemeinde, eine Woche nach Ostern führt der Weg zurück in den Alltag. Die Ferien enden und morgen ist alles wieder so wie immer.

Das passt zum Predigttext des heutigen Sonntags Quasimodogeniti, »wie die neugeborenen Kinder«. Um ein neugeboren Sein geht es da und einer wird sogar »getauft« – jedenfalls wird er ziemlich nass. Hören Sie den Predigttext aus Johannes 21,1–14:

Johannes 21,1–14 (Luther 2017) Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so:
Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: »Ich gehe fischen.« Sie sprechen zu ihm: »Wir kommen mit dir.« Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.
Spricht Jesus zu ihnen: »Kinder, habt ihr nichts zu essen?« Sie antworteten ihm: »Nein.« Er aber sprach zu ihnen: »Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden.« Da warfen sie es aus und konnten’s nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.
Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: »Es ist der Herr!« Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.
Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: »Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt!« Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.
Spricht Jesus zu ihnen: »Kommt und haltet das Mahl!« Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: ›Wer bist du?‹ Denn sie wussten: Es ist der Herr. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt’s ihnen, desgleichen auch den Fisch.
Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.

Gott, wir danken Dir für Dein Wort. Sende Deinen Heiligen Geist, dass wir es fassen und zum unsrigen machen. Amen.

Wenn alles schiefgeht

Liebe Gemeinde, was für ein bemerkenswerter Text! Am Anfang entführt uns der Evangelist Johannes in den Norden Israels, nach Galiläa, an der See Genezareth. Ostern ist gerade vorüber, aber die Jünger haben Jerusalem verlassen und sind in ihre Heimat zurückgekehrt.

Alles war schiefgegangen: Das Volk Israel hatte Jesus nicht als Messias angenommen und die Römer hatten ihn hingerichtet. Petrus wird sich nur zu gut daran erinnert haben, wie die Leute ihn angesehen hatten, als er Jesus am Gründonnerstagabend hinterher geschlichen war: »Du gehörst doch auch zu diesem Jesus!«, hatten sie ihm auf den Kopf zugesagt. »Was, ich? Ich kenne diesen Mann nicht!«, hatte er mit pochendem Herzen gesagt. Dann hatte der Hahn gekräht und der Himmel stürzte über Petrus zusammen.1

Die Jünger hatten sich davongemacht, als Jesus verhaftet worden war.2 Verleugnet und verlassen, hatte Jesus sich ganz allein seinen Anklägern stellen müssen. So waren sie in die Provinz geflohen, in die alte Heimat, aber doch nicht wirklich nach Hause.

Wie befreiend war das gewesen, als die Frauen ihnen dieses Ziel genannt hatten! Dorthin sollten sie gehen, um Jesus zu treffen: »Verkündet es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen«, hatte Jesus den Frauen am Ostermorgen gesagt.3 Sie wussten: Jesus lebt – der Herr ist auferstanden; er ist wahrhaftig auferstanden! Dennoch waren sie nun wieder in der alten Heimat. Sie wird ihnen fremd geworden sein. Alles war noch da, doch alles war anders – so wie alte Kleidung, der man entwachsen ist: Sie gehört einem, aber richtig passen, das tut sie nicht mehr.

Hier waren sie also. Würde Jesus sich ihnen offenbaren? Würde sich das Wunder wiederholen? Nein, fröhlich und erlöst waren sie nicht, die Jünger in Galiläa. Hier hatte alles angefangen und nun waren sie wieder hier. »Zurück in die Zukunft« sieht anders aus.

Am Abgrund

Petrus macht einen weiteren Schritt zurück in die Vergangenheit: »Ich gehe fischen«, sagt er. Fische, wohlgemerkt, nicht Menschen, will er fangen. Und die anderen Jünger gehen mit, ob aus Gewohnheit oder weil sie ganz einfach nichts Besseres zu tun haben, ist unklar. Warten strengt an und Ungewissheit zehrt. Wie gut ist es, wenn man dann etwas tun kann.

Doch all ihre Mühe findet keine Belohnung. Dieser Rückschritt in ihr altes Leben führt zu nichts: »Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.« Wie zermürbend ist das, wenn Arbeit keine Früchte trägt, man sich für nichts und wieder nichts abmüht. Nicht wahr, liebe Gemeinde: darum wissen wir alle, aus eigener Erfahrung.

Die Jünger standen am Abgrund: Jesus war tot, hingerichtet, und sie selbst konnten sich nirgends blicken lassen. Jeder wusste, wer sie waren, wem sie nachgefolgt waren. Wo konnten sie schon hin? Und nun hatten sie diesen Tiefschlag hinter sich, nichts gefangen. Und Jesus: von ihm war auch weit und breit nichts zu sehen.

Vielleicht ging es ihnen wie dem Beter des 130. Psalms:

Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir. Herr, höre meine Stimme!
Lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens!
Wenn du, Herr, Sünden anrechnen willst –
Herr, wer wird bestehen?
Denn bei dir ist die Vergebung,
dass man dich fürchte.
Ich harre des Herrn, meine Seele harret;
und ich hoffe auf sein Wort.
Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen;
mehr als die Wächter auf den Morgen hoffe Israel auf den Herrn!
Denn bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm.
Und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.
Psalm 130, eg 755 (RWL). Vgl. eg 299,1.

Alles wird anders

Und Gott erbarmte sich ihrer:

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.
Spricht Jesus zu ihnen: »Kinder, habt ihr nichts zu essen?« Sie antworteten ihm: »Nein.« Er aber sprach zu ihnen: »Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden.« Da warfen sie es aus und konnten’s nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.

Jesus kam zu ihnen. Und wie Maria am Grab, die Jesus am Ostermorgen nicht erkannte und für den Gärtner hielt4, erkennen die Jünger ihn auch nicht. Ausgerechnet ihn, den sie so ersehnen, auf den sie all ihr Hoffen setzen, erkennen sie nicht.

Jetzt stehen sie wirklich am Abgrund, am Scheideweg: Wenden sie sich endgültig ab – zurück in dieses alte Leben, das nicht mehr passt – oder gehen sie vorwärts, in das Ungewisse der Zukunft? Und auch Jesus steht an einem »Abgrund«: Das Ufer, an dem er steht, ist die Schwelle zwischen dem Festland und dem See, auf dem die Jünger sind. Sinnbildlich steht er zwischen Himmel und Erde.

Seine Jünger muss er jetzt, in dieser Zwischenzeit, noch einmal be-geistern, ihnen endgültig klarmachen, dass er mehr ist als ein normaler Mensch, dass seine Sendung eine himmlische ist. Und dass das ihr Auftrag sein wird: davon weiterzuerzählen.

»Kinder«, so spricht er sie an, eine Gruppe ausgewachsener Männer. Ja, sie benehmen sich wie die Kinder, fallen in frühere Verhaltensmuster zurück und fischen, wie in der Zeit vor ihrer Jüngerschaft. Ihnen, den erfahrenen Fischern, sagt Jesus ganz ruhig, was sie tun sollen, um Fische zu fangen. Und die Jünger hören auf ihn, den sie nicht erkennen, wie auf ihren Herrn.

Worauf hören wir, wenn es hart auf hart kommt? Sind das immer die richtigen Stimmen?

Nur gut, dass Christus es war, der zu diesen Jüngern sprach. Und jetzt wiederholt sich, was schon einmal geschah, als er Petrus berufen hatte:5 Auch damals hatte Petrus nichts gefangen, auch damals hatte Jesus ihm gesagt, was er tun solle, und damals wie jetzt war das Ergebnis dasselbe: überreicher Fang, dass die Netze bald barsten. Vom Nichts zur Fülle – mit Christus leben heißt, erfüllt zu leben.

Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: »Es ist der Herr!« Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See.

Codex Egberti, fol. 90r. Wundersamer Fischzug der Jünger und Offenbarung Christi am See Genezareth, 10. Jahrhundert, https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Codex_Egberti_fol._90r.jpg

Wundersamer Fischzug der Jünger und Offenbarung Christi am See Genezareth, Codex Egberti, 10. Jahrhundert.

»Es ist der Herr!« Dieser eine Satz ist der »Schritt über den Abgrund«. Und die Brücke hält! Die Jünger sind in der Zukunft angekommen. Jetzt gibt es kein Halten mehr. Sechzig Meter bis zum Ufer, das dauert Petrus zu lange. Er krault los, Jesus entgegen.

Und hier ist ein »Loch« in der Erzählung, liebe Gemeinde. Johannes schreibt nicht, was geschah, als Petrus und dann die übrigen Jünger Jesus erreichten. Kein Wort.

Wie ist das, Jesus Christus zu begegnen? Wie erleben Sie das? Erinnern Sie sich noch daran, wie Sie zuerst begriffen haben, dass Christus mehr ist als der Inhalt frommer Geschichten, dass er lebt?

Eine Begegnung, die zu Neubeginn führt

Dieses seltsame Wiedersehen fand dann doch noch einen vertrauten Rahmen. Fisch und Brot – bei der »Speisung der Fünftausend«6 hatte Jesus die Menge so satt gemacht. Dieses Mahl hingegen war ein anderes, diese »Rückschau« war in Wirklichkeit ein »Ausblick« und Brot und Fisch eine »geistliche Nahrung«.7 Die Jünger wussten jetzt mit Gewissheit, an wem sie waren: Jesus lebt.

Brotvermehrungskirche in Tabgha, Foto von Berthold Werner (public domain), https://de.m.wikipedia.org/wiki/Tabgha

Brotvermehrungskirche in Tabgha.

Liebe Gemeinde, eingangs sagte ich: »Was für ein bemerkenswerter Text!« Diese schlichte Erzählung schreit förmlich danach, erzählt zu werden, dass ihre Bilder als Metaphern entlarvt und gedeutet werden.

Das, was der Evangelist Johannes damals überliefert hat, geht auch uns heute noch an. Wie die Jünger in diesem Niemandsland – zwischen Zweifel und Glauben, zwischen alles verloren haben und alles gewinnen können, zwischen alles war vergebens und überreichem Gewinnen – leben auch wir. Auch wir gehören zu diesem Jesus Christus. Und wie den Jüngern geht es auch uns: auch wir erkennen ihn häufig nicht – gerade dann, wenn wir ihn brauchen.

Den Jüngern damals war Christus verloren gegangen und sie waren wieder allein. Der neue Weg, auf den er sie geführt hatte, versandete vor ihren Augen, wurde vom Unkraut des Alltags überwuchert und war so schnell kaum mehr zu erkennen. Also machten sie, was sie schon immer gemacht hatten: »Ich gehe fischen« – »Wir kommen mit.«

Auch uns geht Gott verloren. Wie sollten wir ihn auch finden, in all der Hektik. So sind wir nicht viel besser als diese Jünger, die sich so sehr nach einer Begegnung mit Gott, dem Vollkommenen, sehnen, und doch immer wieder aufs Neue dabei grandios versagen. Zu Leben heißt, auch die Durstrecken durchstehen zu müssen.

Der Predigttext zeigt, wozu es führt, wenn Jesus Christus in unserem Leben Herr ist: zu reichem, erfüllten Leben. Das gibt Hoffnung, Mut, Durchhaltevermögen. Aber der Weg ist weit: Dornen, Disteln und Steine liegen darauf – die unsrigen kennen wir alle.

Wo wir als seine Jüngerinnen und Jünger handeln, können wir seine Arme und Beine sein: Wir können unseren Nächsten ein Stück weit Christus werden, indem wir helfen, wo jemand allein ist oder indem wir ein gutes Wort für die haben, denen das Leben gerade zusetzt.

Die Begegnung mit dem Auferstandenen hat bei den Jüngern damals zu einem Neubeginn geführt – das geht heute auch noch. Wo wir auf Gott vertrauen, finden auch wir neue Wege. Gott geht mit, das haben die Jünger erlebt. Auch wir können das erleben. An Ostern ist es Wirklichkeit geworden, dass Christus lebt. Er hat sich seinen Jüngern gezeigt – so unscheinbar, dass die es erst einmal gar nicht erkannt oder gemerkt haben.

Liebe Gemeinde, lassen Sie uns nicht darin nachlassen, auf seine Spuren in unserem Leben, in unserem Alltag zu sehen; danach zu suchen, für ihn offenzubleiben. Wo uns das gelingt, wird Ostern zu etwas, was sich jeden Tag aufs Neue ereignet.

Eine »geistliche Tankstelle« haben wir dafür auch: eine Gemeinde, in der wir den so oft kaum erkennbaren Gott miteinander erleben können. Himmel und Erde treffen sich im Blick auf sein Kreuz. Ich finde, darauf kommt es an: Jesus Christus im Herzen zu haben. Für ihn offen zu sein. Seine Arme und Beine zu sein. Und auf dem Weg zu ihm immer neue Schritte zu wagen. Gott segne uns dazu.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

Lied: eg 116 Er ist erstanden, Halleluja!


  1. Vgl. Lukas 22,54–62. ↩︎

  2. Vgl. Mk 14,50; Mt 26,56. ↩︎

  3. Mt 28,10. Vgl. Mt 26,32; 28,16; Mk 14,28; 16,6f. Anders Lk 24,33–36.49b und Joh 20,19: dort erfolgt der Ortswechsel mit Beginn der Perikope, Joh 21,1. ↩︎

  4. Joh 21,11–18. ↩︎

  5. Vgl. Lk 5,1–11. ↩︎

  6. Mk 6,30–44 par. ↩︎

  7. Vgl. 1. Kor 3,1f; 1. Petr 2,1–5. ↩︎

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