Wie kann man als Christ leben? Paulus gibt einen auf den ersten Blick fast zu anspruchsvoll scheinenden Hinweis …

Predigt über 1. Thessalonicher 5,14–24: Das Gute behalten

Am 14. Sonntag nach Trinitatis, 21. September 2014 in Bernberg. Veröffentlicht 19.09.2014, Stand 06.09.2022, 1712 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Liebe Gemeinde, lassen Sie uns einen Moment in unserer Erinnerung kramen. Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie sind sechzehn Jahre alt und wollen gerne mit ihrer Freundin oder ihrem Freund das Wochenende über an einem etwas entfernten Ort zelten. Damit es nachts nicht so kalt ist, wollen Sie auch noch ein paar Flaschen Wein mitnehmen. – Was hätten Ihre Eltern Ihnen zu diesem Ansinnen erzählt?

Nicht wahr: Das anschließende Gespräch wäre mutmaßlich in einer auch für taube Ohren geeigneten Lautstärke erfolgt … und noch eines ist ebenso sicher: Mit sechzehn Jahren wären Sie nicht in begeisterte Zustimmung zur Entscheidung ihrer Eltern ausgebrochen, sondern wären ziemlich enttäuscht und verärgert gewesen. Mit ein paar Jahren Abstand und etwas mehr Reife erkennt man natürlich, wie unsinnig und gefährlich solche Wochenendpläne sind.

Der heutige Predigttext erinnert mich ein wenig an so eine Geschichte. Da meldet sich ein »Elternteil« zu Wort: Der Apostel Paulus schreibt der Gemeinde in Thessaloniki, wie sie leben soll. Was er schreibt, mutet unerfüllbar an. Ein starker Appell klingt darin an und der könnte wie eine Überforderung klingen – wie eine Entscheidung, die man nicht akzeptieren will. Doch wie bei den Eltern in der Geschichte erkennt man mit einem zweiten Blick, dass Paulus da etwas Sinnvolles schreibt.

Lassen Sie uns gemeinsam darauf schauen und erst einmal hören, was der Apostel Paulus im Ersten Thessalonicherbrief schreibt, ich lese aus Kapitel 5:

1. Thess 5,14–24 (Lutherbibel 1984, mit Konjekturen M.P.) Wir ermahnen euch aber, liebe Geschwister: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.
Seid allezeit fröhlich,
betet ohne Unterlass,
seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch.
Den Geist dämpft nicht.
Prophetische Rede verachtet nicht.
Prüft aber alles, und das Gute behaltet.
Meidet das Böse in jeder Gestalt.
Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.

Gott, wir danken Dir für Dein Wort. Sende Deinen Heiligen Geist, dass wir es fassen und zum unsrigen machen. Amen.

Situation und Briefempfänger

Liebe Gemeinde, es war wohl um das Jahr 50 n. Chr., dass Paulus diese Worte an die Thessalonicher schrieb, eine Gemeinde in Mazedonien, die er auf seiner zweiten Missionsreise gegründet hatte (vgl. Apg 17). Dieser Gemeinde gibt er nun Verhaltensregeln mit auf den Weg: so sollen sich die Christinnen und Christen in Thessaloniki im Alltag verhalten und nicht anders. Und noch eines muss man wissen: Paulus reagiert mit diesen Worten sehr wahrscheinlich auf Fragen, die die Thessalonicher ihm gestellt hatten. Dies macht auch die Schwierigkeit des Textes aus.

In Christus die Welt neu sehen (V. 14)

So fällt mir auf, dass Paulus’ Ideen teilweise heute nicht mehr umgesetzt werden können. Da ist beispielsweise von Unordentlichen, Kleinmütigen und Schwachen die Rede (V. 14), die ermahnt werden sollen. Was passiert denn gewöhnlich, wenn man jemanden ermahnt, sich anders zu verhalten? Bei manchen Zeitgenossen muss man dann sogar um seine Gesundheit fürchten.

Paulus nennt aber auch gut erfüllbares. Er schreibt: tragt die Schwachen. Christliche Gemeinde soll ein Raum sein, in dem man füreinander da ist. Gerade für die, die eine schwierige Zeit erleben.

»Seid geduldig gegen jedermann«, das schreibt er auch. Was für eine Herausforderung! Stellen Sie sich doch noch einmal die Jugendlicher-will-mit-Freundin-und-viel-Wein-zelten-Geschichte von vorhin vor und schlüpfen Sie jetzt in die Elternrolle. Und: wären sie beim folgenden Gespräch »geduldig gegen jedermann« gewesen?

Nicht wahr: was Paulus da schreibt, ist herausfordernd. Wenn man sich ansieht, wie oft er sich auf seinen Missionsreisen mit Mitarbeitern überworfen hat, ist der Satz umso schwieriger, denn Paulus selbst vermochte ihn nicht zu erfüllen.

Aber vielleicht geht es gar nicht um’s Maximum, um 100 %. Vielleicht ist es ja das Versuchen, das Paulus meint. Das Wort, das Paulus im griechischen Original schreibt, kann man auch so übersetzen, dass der Satz heißt: »Seid langmütig.« Modern gesagt: »Atme erst einmal durch und zähl bis zehn, bevor du reagierst …«

Christen sind anders! (V. 15)

Im nächsten Vers wird Paulus noch deutlicher:

Seht zu, dass keiner dem anderen Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.

Der Vers erinnert ein wenig an einen Vers aus der Bergpredigt: »Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.« (Mt 5,39 Lutherbibel 1984)

Paulus fordert auf, stets dem Guten nachzujagen, dem nachzueifern und danach zu trachten. Ein anspruchsvolles Ansinnen. Aber stellen wir uns einmal eine Welt vor, in der alle Christen das versuchten, dem Guten untereinander und gegenüber jedermann nachzueifern. In solch einer Welt wollte ich gerne leben.

Paulus stellt hier allerdings keine Forderung. Das Verb, das er gebraucht (… πάντοτε τὸ ἀγαθὸν διώκετε …) fordert zu einem Versuchen auf – es geht nicht um ein zwanghaftes Erreichen-Müssen. Möglichst jederzeit das Gute anzustreben, das zu erreichen zu trachten, das ist gemeint. Damit beschreibt Paulus ein Ziel, gibt aber nicht den Weg streng und unabänderlich vor.

Paulus’ Rezept für christliches Leben (VV. 16–22)

Die folgenden Verse sind beinahe hymnisch, sind wie ein Lied. Paulus verrät den Thessalonichern das Rezept für ein Christenleben:

Seid allezeit fröhlich, / betet ohne Unterlass, / seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch. / Den Geist dämpft nicht. / Prophetische Rede verachtet nicht. / Prüft aber alles, und das Gute behaltet. / Meidet das Böse in jeder Gestalt.

Das klingt richtig fröhlich und begeistert, dieses »Seid allezeit fröhlich.« Wie wir mehr Freude finden können, schreibt Paulus auch: »Betet ohne Unterlass.« Im Gebet können wir Lasten abgeben, Ruhe finden und neue Kraft bekommen. Und das kann helfen, neue Freude zu finden.

Ein Satz gefällt mir besonders: »Prüft aber alles, und das Gute behaltet.« Damit ist kein die Augen vor der Wirklichkeit verschließen gemeint, sondern im Gegenteil ein genau Hinsehen. Was danach anders sein soll, kann die folgende Anekdote illustrieren:

Zu dem bekannten Philosophen Sokrates kam einst ein Bekannter und fragte: »Weißt du, was ich gerade über einen deiner Freunde hörte?« »Moment«, sagte Sokrates. »Hast Du das, was du mir erzählen willst, durch die drei Siebe gesiebt?« »Die drei Siebe?« »Ja«, sagte Sokrates, »Lass uns sehen, ob das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe hindurchgeht: Das erste Sieb ist die Wahrheit: Bist du dir wirklich sicher, dass das, was du mir erzählen willst, wahr ist?« »Nein«, sagte der Mann, »ich habe es auch nur gehört.« »Aha«, sagte Sokrates. »Du weißt also nicht, ob es wirklich wahr ist. Lass uns sehen, ob es durch das zweite Sieb hindurchgeht, das der Güte. Ist das, was du mir über meinen Freund sagen willst, etwas Gutes?« »Nein, ganz im Gegenteil«, sagte er. »Also gut«, fuhr Sokrates fort, »du willst mir also etwas Schlechtes erzählen und du bist dir nicht mal sicher, ob es überhaupt wahr ist. Lass und das dritte Sieb, das des Nutzens anwenden: Ist das, was du mir über meinen Freund erzählen willst, für mich nützlich?« »Nein, nicht wirklich«, gab der Mann zu. »Also«, sagte lächelnd der Weise, »wenn es weder wahr, noch gut, noch nützlich ist, so lass es ruhig begraben sein und belaste dich und mich nicht damit.«

»Prüft alles, das Gute behaltet« heißt nicht, schwieriges außen vorzulassen, sondern zuerst auf das Gute, Schöne und Gelungene zu schauen. Ein ernsthafter Versuch mag im Endergebnis schiefgehen, doch den Einsatz gilt es zu würdigen. Mit diesem Satz erinnert Paulus uns daran, wie Gott uns misst. Wo wir auch so handeln, wird die Welt jedenfalls nicht schlechter, sondern besser und glänzender. Es geht nicht ums Beurteilen oder Richten, den Blick aufs Soll, sondern um ein Wertschätzen des Erreichten, um die Habenseite und ein gnädiges Ansehen.

Ein Mut-mach-Ruf (VV. 23f)

Paulus schließt mit den Worten:

Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.

Geist, Seele und Leib nennt Paulus und es ist passend, dass er seinen Brief im Original in griechischer Sprache geschrieben hat, denn die Griechen unterschieden diese drei recht deutlich. Paulus schreibt hier vom ganzen Menschen. Er erlebte am eigenen Leib, wie vergänglich der ist. Krankheit, Schwäche, Leiden – das alles sind keine Unbekannten für ihn.

Gott erhält dich, das meint er mit diesen Worten. Ja, es stimmt: menschliches Leben ist ab der Geburt zum Tode verfasst. Die Christen in Korinth erlebten das ganz anschaulich, denn beliebt waren sie wegen ihres Glaubens an Jesus Christus nicht. Mitten in einer von griechischem Denken durch und durch geprägten Umwelt missachteten sie alle Götter, die den Griechen heilig waren und erwarteten ihr Heil allein von Christus. »Blasphemie« wird noch der harmloseste Schmähruf gewesen sein, den sie von ihren Zeitgenossen zu hören bekamen …

Gott erhalte, bewahre dich – mit diesem Trostruf ermutigt Paulus die Thessalonicher, nicht von Gott zu lassen und auch im Schweren an ihm zu bleiben. Mehr noch: Paulus schließt: »Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.« Für Paulus ist klar, dass Gottes »Ja« zu seinen Kindern steht und nicht wankt.

Schluss

Das können auch wir heute gut hören: dass Gott uns erhält und treu ist. Gottes Treue ist von einer zeitlosen, ja: die Zeit überdauernden Qualität: Er lässt uns nicht, nie wieder.

Paulus schreibt einen fröhlichen Text, dem ein großer Anspruch innewohnt. Auf den ersten Blick klingt es unerfüllbar. Doch Paulus schreibt eben nichts, was in Stein gemeißelt ist, sondern die Grundlage einer Welt, die wir immer wieder zu verwirklichen trachten: eine Welt, in der wir einen Abglanz des einstigen Reiches Gottes schon heute aufblitzen sehen. Wo es uns gelingt, seinen Ideen nahezukommen, geschieht das. Doch über alle dem steht eben, dass es bei einem Versuchen bleibt – und das genügt auch oder, wie Paulus schreibt: Prüft alles, das Gute behaltet.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen in Christus Jesus, Amen.

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