Was dürfen wir von Gott erwarten und welche Rolle spielt das Gebet?

Predigt über Markus 9,14–29: Was dürfen wir von Gott erwarten?

Am 17. Sonntag nach Trinitatis, 16. Oktober 2011. Veröffentlicht 15.10.2011, Stand 13.02.2024, 1892 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Liebe Gemeinde, in der Bibel als Gottes offenbartem Wort können wir Gott begegnen, ihn entdecken und daran unseren Glauben pflegen. Manche Texte sind dabei einfach nur schön; manche sind anspruchsvoll und einiges ist auch ziemlich schwierig.

Der heutige Predigttext fällt meiner Meinung nach in diese letzte Kategorie – aber hören und urteilen Sie selbst! Ich lese aus Kapitel 9 des Markus-Evangeliums:

Markus 9,14–29 (Gute Nachricht Bibel) Als sie zu den anderen Jüngern zurückkamen, fanden sie diese im Streit mit einigen Gesetzeslehrern und umringt von einer großen Menschenmenge. Sobald die Menschen Jesus sahen, gerieten sie in Aufregung; sie liefen zu ihm hin und begrüßten ihn.
Jesus fragte sie: »Was streitet ihr mit meinen Jüngern?«
Ein Mann aus der Menge gab ihm zur Antwort: »Lehrer, ich habe meinen Sohn zu dir gebracht; er ist von einem bösen Geist besessen, darum kann er nicht sprechen. Immer wenn dieser Geist ihn packt, wirft er ihn zu Boden. Schaum steht dann vor seinem Mund, er knirscht mit den Zähnen und sein ganzer Körper wird steif. Ich habe deine Jünger gebeten, den bösen Geist auszutreiben, aber sie konnten es nicht.«
Da sagte Jesus zu allen, wie sie dastanden: »Was ist das für eine Generation, die Gott nichts zutraut! Wie lang soll ich noch bei euch aushalten und euch ertragen? Bringt den Jungen her!«
Sie brachten ihn zu Jesus. Sobald der böse Geist Jesus erblickte, zerrte er das Kind hin und her; es fiel hin und wälzte sich mit Schaum vor dem Mund auf der Erde.
»Wie lange hat er das schon?«, fragte Jesus.
»Von klein auf«, sagte der Vater, »und oft hat der böse Geist ihn auch schon ins Feuer oder ins Wasser geworfen, um ihn umzubringen. Hab doch Erbarmen mit uns und hilf uns, wenn du kannst!«
»Was heißt hier: ›Wenn du kannst‹?«, sagte Jesus. »Wer Gott vertraut, dem ist alles möglich.«
Da rief der Vater: »Ich vertraue ihm ja – und kann es doch nicht! Hilf mir vertrauen!«
Jesus sah, dass immer mehr Leute zusammenliefen; da sagte er drohend zu dem bösen Geist: »Du stummer und tauber Geist, ich befehle dir: Fahr aus aus diesem Kind und komm nie wieder zurück!«
Der Geist schrie anhaltend und zerrte den Jungen wie wild hin und her, dann fuhr er aus ihm aus. Der Junge lag wie leblos am Boden, sodass die Leute schon sagten: »Er ist tot.« Aber Jesus nahm ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf.
Als Jesus später im Haus war, fragten ihn seine Jünger: »Warum konnten wir den bösen Geist nicht austreiben?«
Er gab ihnen zur Antwort: »Nur durch Gebet können solche Geister ausgetrieben werden.«

Gott, wir danken Dir für Dein Wort. Sende Deinen Heiligen Geist, dass wir es fassen. Amen.

Wunder damals und heute

Liebe Gemeinde, wie schon in der Evangeliums-Lesung (Mt 15,21–28) ist auch dies eine Wundererzählung. Jesus heilt Kranke und macht sie wieder vollständig gesund. So zeigt er, wer er wirklich ist – Gottes Sohn, Gott auf Erden. Er ist in der Lage, das zu tun, was eigentlich unmöglich ist. So heilt er ohne Medikamente, Operation oder »Reha« – einfach so.

Er hat die Kraft, das zu tun. Doch was diese Heilungen möglich macht, ist Glaube – der Versuch, alles Vertrauen auf Christus zu setzen, wider alle Vernunft und Zweifel.

Mit der Lesung zusammen haben wir nun heute Morgen von zwei Wunderheilungen gehört. Glauben wir es? Ist es nicht eine Herausforderung an unsere Vernunft?

Und andersherum: kennen wir nicht alle schwer kranke Menschen – oder haben von ihnen gehört – die schon reichlich abstruse Versuche unternommen haben, Heilung jenseits der Medizin zu finden, wenn diese an ihre Grenzen stößt? Ich meine nicht Homöopathie, sondern das Aufsuchen diverser Scharlatane, die ein krankes Körperteil »besprechen« oder Ähnliches. Von solchem gefährlichen und zumeist teuren Blödsinn haben wir alle gehört und wenn jemand dies trotzdem in Anspruch nehmen will, lässt sich wohl in erster Linie die dahinter stehende Not erahnen.

Hoffen und Erwarten

Im Predigttext geht es um Heilung – Heilung jenseits von dem, was man beim Hausarzt oder im Krankenhaus bekommen kann.

Eingangs sagte ich, dass ich den Inhalt dieses Textes als schwierig empfinde. Im Predigttext heilt Jesus ein schwer krankes Kind. Die Eltern sind außer sich. Die Schwierigkeit liegt für mich daran, dass es heute auch schwer kranke Kinder gibt und Eltern, deren ganzes Leben sich automatisch darum dreht, alles nur erdenklich Mögliche zu unternehmen, ihrem Kind zu helfen.

Im Predigttext ist die Rede von einem stummen und tauben Geist als Erklärung der Krankheit, bei der es sich wohl um Epilepsie handelt – eine Krankheit, bei der die aktuelle Medizin nur die Symptome zu dämpfen vermag, sie aber noch nicht endgültig heilen kann.

Jesus kommt nun vorbei und heilt das Kind. Wir haben auch gehört: Die Jünger haben das nicht gekonnt und Jesus erklärte ihnen später: Nur Gebet kann helfen – und so wie Jesus konnten die Jünger wohl nicht beten.

Wie hört man diesen Predigttext eigentlich, wenn man selbst betroffen ist? Ich frage: ist das nicht beinahe wie ein Schlag ins Gesicht, wenn Jesus das Ausbleiben von Heilung damit in Zusammenhang bringt, dass man nicht richtig gebetet habe?

Freilich: so steht das nicht im Text, sondern diese übertriebene Deutung stammt von mir. Und jemandem, der betet zu unterstellen, dass er oder sie das nicht richtig täte, hieße doch, sich über Gott zu stellen – denn dass er hört, steht außer Frage.

Was im Predigttext steht ist, dass es bei Jesus – bei Gott selbst – außergewöhnliche Heilungen gegeben hat. Das Anstößige ist, dass es die bei uns heute nicht unbedingt gibt und Eltern, die beten und alles für ihre Kinder tun, erleben: Mein Kind wird nicht, wie im Text, schlagartig geheilt. Das ist das Schwierige an diesem Text, wenn er aus der Situation eines Betroffenen gehört wird.

Was wir von Gott erwarten dürfen

Aus dieser Sicht wäre solch ein Predigttext sogar der Grund, zu fragen:

  • Wenn Gott heilt, wieso wird dann meine Krankheit oder die meines Kindes nicht geheilt?
  • Welche Bedeutung hat mein Gebet? Und zuletzt:
  • Was darf ich eigentlich von Gott erwarten – was darf ich erwarten, wenn mein Herzenswunsch offensichtlich nicht erfüllt wird?

Lassen Sie und diesen drei Fragen nachgehen:

1. Krankheit und Heilung

Um eines vorneweg zu sagen: ich meine, dass die Frage »Wenn Gott heilt, wieso heilt er dann nicht mich« falsch gestellt ist. Das Schwierige am Predigttext ist, dass es darin um die konkrete Heilung eines Erkrankten geht. Wenn wir davon ausgehend die eben genannte Frage stellen, können wir keine richtige Antwort finden.

Eine Gefahr auf solches Fragen ist doch, dass sich selbst als fromm Erachtende antworteten: Du wirst nicht geheilt, weil du nicht genügend betest. Oder: weil du ein Sünder bist. Oder: Deine Krankheit ist eine Strafe Gottes für dies, das oder jenes. Sie merken: in diesen Antworten ist das Evangelium in etwas anderes verkehrt worden.

Gott sendet uns keine Strafen – wenn Gott straft, dann im jüngsten Gericht – aber da ist Jesus Christus auch als Erlöser anwesend. Wir sollten christlichen Glauben nicht dazu missbrauchen, Furcht zu verkündigen. Krankheit ist nichts, das uns von Gott gesendet wird.

Wenn wir den Text metaphorisch deuten, also die Wörter darin als Bilder verstehen, kommen wir weiter. Die Frage kann dann heißen: Was ist eigentlich meine »Krankheit«? Oder anders: was sind meine »bösen Geister«?

Eine Liste – ergänzen Sie sie selbst:

  • Unsicherheit
  • Zorn
  • Eitelkeit
  • Narzissmus
  • Gier
  • Unbedachtheit
  • Sorge

Was sind Ihre »bösen Geister«, was macht Ihnen das Leben schwer? Und was ist es, das bei uns »Heilung« auslöst?

2. Welche Bedeutung hat mein Gebet?

Im Predigttext ist Gebet dasjenige, das die Heilung bewirkt. Die Jünger haben es nicht geschafft, erst Jesus selbst vermochte richtig zu heilen.

Die Frage nach unserem Beten ist im Text enthalten. Wie steht es eigentlich um meine eigene Gebetspraxis?

Gebet ist eine Möglichkeit, an Gott abzugeben, was mir das Leben schwer macht. Unsere »bösen Geister« – wir können sie Gott im Gebet anbefehlen.

Unser Evangelisches Gesangbuch ist auch ein Gebetbuch – wenn Sie einen Blick in die Teile ab eg 860 (Ausgabe Rheinland, Westfalen, Lippe) werfen, finden Sie Gebete zu den Tageszeiten und für besondere Anlässe. Der Evangelische Lebensbegleiter oder die Losungen sind eine Möglichkeit, die eigene Gebetspraxis wieder anzukurbeln, wenn sie eingerostet ist.

3. Was darf ich von Gott erwarten?

Was darf ich also von Gott erwarten – und was ist mit den Gebeten, die nicht so erhört werden, wie ich es bitte?

Von Gott können wir als Erstes erwarten, dass er da ist – für uns ganz persönlich, dass er zuhört und Kraft gibt. Der Theologe Wilfried Härle beschreibt das Gebet als Möglichkeit, von Gott das zu empfangen, was er geben will. Gebet ist also nicht nur der Weg, etwas an Gott abzugeben, sondern auch Möglichkeit, etwas zu empfangen.

Die Herausforderung liegt doch darin, dass wir erleben: Es gibt Gebete, die nicht so erhört werden, wie wir bitten. Oft stellt man erst im Rückblick fest, wie Gebete erhört wurden.

Die Spannung im Predigttext liegt darin, dass Jesus da nun tut, was uns nicht gelingt. Doch heute weilt er nicht mehr auf Erden, sondern ist im Heiligen Geist bei uns. Unsere Verheißung ist, einst bei ihm zu sein in Gottes Reich. In der Johannes-Offenbarung steht dazu: »Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.« (Offb 21,4) Gottes Reich ist auch ein Reich der Heilung – aber eben ein Reich, in dem wir jetzt noch nicht sind. Diese Spannung auszuhalten, ist die Herausforderung.

Schluss

Was nützt uns dann unser Beten und unsere Beziehung zu Gott? Dass wir bei ihm abladen dürfen, was uns belastet und neue Kraft bekommen können – auch die Kraft, die notwendig ist, um schwierige Lebenssituationen auszuhalten. Unsere Perspektive ist nicht eine, die vor die Wand sieht oder in einer Sackgasse steckenbleibt, sondern eine mit einem weiten Horizont. Wo wir uns dessen bewusst sind, können wir Krankheit und Sorge immer als etwas nur Vorläufiges erachten, das keine Dauer hat.

Glauben wir das, oder: können wir das glauben? Die Anfechtung hieran ist doch gegeben, wenn man in der Situation ist, selbst von Krankheit betroffen zu sein – oder wie im Predigttext ein krankes Kind zu haben.

Vorhin fragte ich, was denn in übertragenem Sinn unsere Krankheit sei – jede und jeder weiß selbst, was so etwas ist. Ich möchte zum Ende dieser Predigt deshalb andersherum fragen: wo beginnt eigentlich Heilung, und: Was kann das sein?

Vielleicht beginnt Heilung da, wo wir Gott auch im Schweren an unserer Seite glauben können und ihn als den erleben, der auch im »finstern Tal« mit uns ist, uns hilft, uns Kraft gibt, unsere Gebete hört und auch erhört – nur eben nicht immer so, wie wir das gerade wünschen.

Wo wir Gott mit uns wissen, können wir weitergehen und auch angesichts schwieriger Situationen mehr sehen. Wir können Hoffnung im Heiligen Geist haben und vertrauen: Gott hat ein Ziel für uns. In diesem Glauben können wir zu ihm beten und erleben: Er vertreibt unsere »bösen Geister« zurück in die Niederungen, in die sie gehören, damit unser Blick wieder frei wird.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

Lied: Wenn die Last der Welt dir zu schaffen

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