Verhüllung und Enthüllung: der Evangelist Johannes spielt damit in diesem Predigttext. Doch auch in unserem Leben kommt dies vor und wir können im Wissen darum den Schleier, der uns Gott verstellt, ein Stück weit lüften.

Predigt über Johannes 16,16–23: Verhüllung und Enthüllung

An Jubilate, 15. Mai 2011. Veröffentlicht 14.05.2011, Stand 26.04.2023, 1592 Wörter.

Siehe auch Predigt über Johannes 16,16–23a: Nur eine kleine Weile von 2023.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Liebe Gemeinde, bitte seien Sie jetzt, bei schönstem Maiwetter, nicht irritiert: erinnern Sie sich eigentlich noch an die Spannung, an die Aufregung vor der Bescherung? Nein, ich meine nicht so sehr die am letzten Heiligabend – ich meine dieses ungeduldige Warten, Sehnen, ach-wäre-es-doch-endlich-schon-so-weit-Gefühl von den Heiligen Abenden Ihrer Kindheit.

Haben Sie es jetzt beim Hören teilweise wieder entdeckt? Sicher ist Ihnen das noch geläufig und bei eigenen Kindern und Enkeln kann man es auch immer wieder erleben.

Im Predigttext heute geht es unter anderem um diese Emotion. Hören Sie den Predigttext aus Johannes 16:

Johannes 16,16–23 (Basisbibel. Jesus Christus spricht:) »Es dauert nur noch kurze Zeit, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen. Doch noch einmal kurze Zeit später werdet ihr mich wiedersehen.« Da fragten die Jünger sich gegenseitig: »Was heißt das, wenn er zu uns sagt: ›Es dauert nur noch kurze Zeit, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen. Doch noch einmal kurze Zeit später werdet ihr mich wiedersehen‹? Und: ›Ich gehe zum Vater‹?« Sie fragten weiter: »Was heißt das, wenn er sagt: ›Es dauert nur noch kurze Zeit‹? Wir verstehen nicht, was er sagt!« Jesus merkte, dass sie ihn fragen wollten. Deshalb erklärte er ihnen: »Macht ihr euch Gedanken darüber, dass ich gesagt habe: ›Es dauert nur noch kurze Zeit, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen. Doch noch einmal kurze Zeit später werdet ihr mich wiedersehen‹? Amen, amen, das sage ich euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber diese Welt wird sich freuen. Ja, ihr werdet traurig sein, aber eure Trauer wird sich in Freude verwandeln. Es ist wie bei einer Frau: Sie leidet unter Schmerzen, wenn sie ein Kind zur Welt bringt – ihre Stunde ist gekommen. Aber wenn das Kind geboren ist, denkt sie nicht mehr an den Schmerz. Sie freut sich nur noch, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. – Ihr seid jetzt traurig. Doch ich werde euch wiedersehen. Dann wird euer Herz voll Freude sein und diese Freude kann euch niemand mehr nehmen. An diesem Tag werdet ihr mich nichts mehr fragen. …«

Gott, wir danken Dir für Dein Wort. Sende Deinen Heiligen Geist, dass wir es fassen. Amen.

Kurze Deutung

Liebe Gemeinde, einst wird ein Tag kommen, da werden wir keine Fragen an Gott haben. Klingt dieser Satz nicht fast bedrohlich? Da spricht jemand ein Machtwort und keiner fragt noch irgendetwas, weil es nämlich verboten ist. So könnte man das Ende des Predigttextes hören.

Freilich: hier ist anderes gemeint. Es geht nicht darum, nicht zu fragen. Das ist weder verboten noch wird man dafür als dumm hingestellt. Die Jünger haben ja Fragen an Jesus – nur, der beantwortet sie nicht einfach, sondern ziemlich kompliziert.

Worum geht es? Um das vorösterliche Geschehen. Jesus kündigt seinen Jüngern an, dass er sterben wird. Der Evangelist Johannes überliefert dies in dieser geheimnisvoll klingenden Weise.

Die Jünger verstehen es nicht, was Jesus da sagt. Er, der Messias, kann für sie nicht sterben. Doch bei Johannes macht Jesus deutlich, dass er geradewegs auf dem Weg zurück zum Vater, zu Gott ist. Er ist ein Brückenbauer, stellt die Direktverbindung zu Gott durch den Tod hindurch zum Leben wieder her.

Die kurze Zeit, von der Jesus spricht und die die Jünger nicht verstehen, ist die Zeit, die wir zwischen Karfreitag und dem Ende der Osternacht feiern, die Zeit zwischen Tod und Auferstehung.

Verhüllung und Enthüllung …

Johannes verhüllt, was Jesus tun wird. Ein Stück weit zeigt er es, doch nur so weit, dass wir, die Hörerinnen und Hörer dieses Predigttextes erkennen und verstehen können. Die Jünger waren noch nicht so weit, sie illustrieren vielmehr mit ihrem Fragen, was unsere Fragen sein könnten.

Das ist das »Heilig-Abend-Gefühl«, dass ich eingangs erwähnte. Wer in der guten Stube drin ist, der darf die Geschenke endlich auspacken und weiß nun mit Sicherheit, was er bekommen hat.

Auch wir spielen an fast allen wichtigen Schaltstellen im Leben mit Ver- und Enthüllung:

  • Die verpackten Geschenke, die erst einmal nicht genau zeigen, was sie sind, bis sie aus der Verpackung enthüllt wurden, sind ein gängiges Beispiel dafür.
  • Bei einer Prüfung dauert es meist, bis man das Ergebnis zurückbekommt.
  • Ein schönes Beispiel ist die Hochzeit von William und Kate, um die England vor zwei Wochen fieberte. So ein Brautschleier spielt ja damit, die Braut zu verhüllen, bis der Bräutigam am Altar den Schleier lüften darf.
  • Im Predigttext selbst findet sich das Beispiel von der Geburt eines Kindes. Die Zeit der Wehen verliert ein ganzes Teil ihrer Schmerzhaftigkeit, wenn das Kind endlich da ist und die Eltern sich freuen können.

Der verhüllte Gott

Liebe Gemeinde, Gott ist ein offenbarer Gott – offenbar in Jesus Christus. Die Bibel als Heilige Schrift zeigt uns diesen Gott, enthüllt ihn, stellt ihn uns als den Lebensschaffenden und Lebensbewahrenden vor.

Freilich: Gott ist auch ein verhüllter Gott. Die Bibel erzählt dazu im Buch Exodus folgendes:

Mose möchte Gottes Herrlichkeit schauen (2. Mose Exodus 33,18–23; Gute Nachricht Bibel)

Nun bat Mose den HERRN: »Lass mich doch den Glanz deiner Herrlichkeit sehen!« Der HERR erwiderte: »Ich werde in meiner ganzen Pracht und Hoheit an dir vorüberziehen und meinen Namen ›der HERR‹vor dir ausrufen. Es liegt in meiner freien Entscheidung, wem ich meine Gnade erweise; es ist allein meine Sache, wem ich mein Erbarmen schenke. Trotzdem darfst du mein Gesicht nicht sehen; denn niemand, der mich sieht, bleibt am Leben. Weiter sagte der HERR: Hier auf dem Felsen neben mir kannst du stehen. Wenn meine Herrlichkeit vorüberzieht, werde ich dich in einen Felsspalt stellen und dich mit meiner Hand bedecken, bis ich vorüber bin. Dann werde ich meine Hand wegnehmen, und du kannst mir nachschauen. Aber von vorn darf mich niemand sehen.«

Gott erkennen – wenn wir ihn endlich schauten; wenn der Schleier des Glaubens doch endlich gelüftet wäre, damit wir ihn ganz erkennen könnten!

Im Exodus-Zitat hören wir nun: Das geht noch nicht. Gott und Mensch sind zwei so verschiedene Größen, dass sie erst durch Jesus Christus kompatibel werden. Gott übersteigt unser menschliches Fassungsvermögen. Wir neigen dazu, Gott für uns greif- und verstehbar zu machen, indem wir ihn mit menschlichen Eigenschaften versehen. Da ist Gott der liebende Vater, der Treue, der Alte mit dem Bart und der Himmel ein güldenes Königreich mit einem Hofstaat. Das alles sind Bilder, in denen wir Gott fassen möchten. Ein Gott, der weit jenseits alles dessen ist, der sich diesen menschlichen Begrifflichkeiten qualitativ entzieht – das ist etwas Schwieriges.

Gott sehen

Dem Evangelisten Johannes ist eines ganz wichtig: Er möchte uns zeigen, dass Jesus Christus wirklich Gottes Sohn, der Messias ist. Allen Spekulationen und Definitionsversuchen über Gott zum Trotz – und diese Erklärungsversuche sind Krücken, die nicht tragen – ist Jesus Christus der Mensch, in dem Gott gegenwärtig ist.

»Ich und der Vater sind eins« (Joh 10,30) sagt Jesus Christus, und: »Wer mich sieht, der sieht den Vater.« (Joh 14,9) Der Schleier ist gelüftet und Gott tritt uns in Jesus Christus unverhüllt und für uns Menschen greif- und fassbar gegenüber. Er ist da.

Jetzt und dann …

Doch jetzt, in unserer Zeit, erkennen wir Jesus Christus nur in der Heiligen Schrift. Im Handeln der Christen sollte er ebenfalls sichtbar werden, in gewisser Hinsicht erkennbar. Im Heiligen Abendmahl ist er zugegen und begegnet uns.

Im Predigttext ist eine andere Ära. »Es dauert nur noch kurze Zeit, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen. Doch noch einmal kurze Zeit später werdet ihr mich wiedersehen … Dann wird euer Herz voll Freude sein und diese Freude kann euch niemand mehr nehmen«, sagt Jesus dort zu seinen Jüngern.

Dieses noch-nicht, das darin anklingt, ist trotz all unserer Erkenntnis auch unser noch-nicht. Wir sind im Glauben, nicht im Schauen. Das macht vieles schwierig und der Zweifel ist eine feste Größe.

An Ostern konnten die ersten Jüngerinnen und Jünger Christus erneut fassen und jubelten. Sie jubelten, so wie es im Namen des heutigen Sonntags steckt.

Damit sind wir bei uns. Der Predigttext ist noch in der vorösterlichen Zeit, doch wir sind nun schon zwei Jahrtausende und zwei Wochen dahinter. Die kurze Zeit, von der Christus sprach – sie ist für uns schon vorbei. Und doch: so wie die Jünger Christus anfragen, fragen wir auch.

Vielleicht sollten wir es so halten, wie die Jüngerinnen und Jünger nach Ostern. Fragen wir uns: wo ist unser Jubeln, wo hat Gott uns das in unserem Leben geschenkt? Und wo erleben wir, dass Christus auch uns heute begegnet?

Wenn wir darauf antworten können, nehmen wir Schicht für Schicht den Schleier von Jesus Christus und kommen zur Begegnung mit ihm. Wo wir uns auf den Weg machen, Gott in unserem Leben zu entdecken, wird er sich finden lassen. Wo wir in seinem Namen, in seinem Geist handeln, machen wir ihn sichtbar – vielleicht nur in einem Auffunkeln, aber doch erkennbar. Wo wir im Heiligen Abendmahl offen sind für die Begegnung mit Jesus Christus, werden wir erleben, dass dies mehr bedeutet als ein Stück Brot und einen Schluck aus dem Kelch zu bekommen.

Mose konnte Gott nicht fassen, und auch wir können es nicht. Aber in Jesus Christus, der uns in Gottes Heiligen Geist nahe ist, da können wir doch schon hier und heute Gott erfahren. Lassen Sie uns das immer wieder nach Kräften tun und versuchen: Gott in unserem Leben zu begreifen. Jesus Christus – er ist das Packende für uns. Gott sei Dank!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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