Christen sollen anders leben – Paulus schreibt, wie.

Predigt über Römer 12,1–3:

Am 10.01.2010, Erster Sonntag nach Epiphanias. Veröffentlicht 10.01.2010, Stand 06.09.2022, 1729 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Liebe Gemeinde, das neue Jahr ist noch keine zwei Wochen alt, flammneu, und zugleich ist es der Beginn des zweiten Jahrzehnts in diesem so jungen Jahrtausend.

Alle Euphorie darüber ist abgeklungen. Erinnern Sie sich noch, wie die »2000« als Zahl wichtig gewesen ist? Firmen, Kneipen, Produkte – sehr vieles führte diese Zahl im Namen. Die zahlreichen Befürchtungen eines Absturzes elektronischer Geräte und des Telefonnetzes wegen eines Kalenderproblems haben sich nicht bewahrheitet.

Auch die Welt ist nicht untergegangen, wie so manche abergläubische Stimme prophezeit hat – nach dem gescheiterten Klimagipfel in Kopenhagen wird das wohl noch ein paar Jahre dauern … Und damit ist wohl gleich das größte zukünftige Problem »hausmacher Art« angesprochen, denn nun ist es ja beschlossene Sache, die Notbremse in der Klimapolitik nicht zu ziehen, sondern irgendwie weiterzumachen …

Im Predigttext für den heutigen Sonntag schreibt der Apostel Paulus den Römern, wie diese sich in einer nichtchristlichen Gesellschaft verhalten sollen. Ich lese aus Römer 12 die ersten drei Verse:

Römer 12,1–3: Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene. Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich’s gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.

Liebe Gemeinde, diese Worte des Paulus gelten auch uns und wenn Luther den Textanfang mit »Ich ermahne euch nun, liebe Brüder« übersetzt, dann sollte sich die hübschere Hälfte der Menschheit nicht ausgegrenzt wähnen – die Frauen sind mit diesen Worten ausdrücklich mit angesprochen. Was Paulus da schreibt, können wir auch in unserer Zeit mit ihren Problemen – die Verursacher sind wir – hören und vielleicht sollten wir auch genau hinhören.

»Ich ermahne Euch« schreibt der Apostel – wir sind uns doch wohl einig, dass wir uns lieber nicht ermahnen lassen wollen. Ungezogene Kinder werden ermahnt, aber Erwachsene? Und auch noch von einem seit zweitausend Jahren toten Apostel? Das ist doch wirklich zu stark, das haben wir doch wohl nicht nötig.

Ich meine: Ich habe es nötig und finde es umso spannender, dass mich diese uralten Worte selbst heute Morgen brandaktuell ansprechen. Lassen Sie mich Ihnen erzählen, weshalb das so ist.

Die religiöse Dimension

Was Paulus schreibt, hat zuallererst eine religiöse Dimension. Es geht darum, wie man sich als Christ oder Christin in der Welt verhält. Wir wissen ja, wie es in Rom damals gewesen ist. Vielgötterei war die gesellschaftlich etablierte Norm. Ein anständiger Römer betete zu vielen Göttinnen und Göttern und wer das nicht tat, war eben ein gottloser Heide.

Juden wie Christen unterschieden sich von der Gesellschaft, man rümpfte mindestens die Nase über diese Leute. Und eine ordentliche Christenverfolgung war in Zeiten, als das Fernsehen noch nicht erfunden war, auch eine unterhaltsame Sache plus man konnte als Römer zeigen, wie anständig und fromm man war.

Paulus schreibt in dieser Situation nicht: passt euch der Gesellschaft, den geltenden Werten und Normen an. Paulus schreibt: seid anders! Bleibt an Jesus Christus. Und er wird noch deutlicher: »Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes« (V. 2) schreibt er der römischen Gemeinde wortwörtlich.

Wenn ich eine Liste über die in unserer Zeit und Gesellschaft geltenden Werte aufschreiben müsste, dann würde ich folgendes notieren: 1) Freiheit; 2) Sicherheit; 3) Wohlstand; 4) Individualität; 5) Unabhängigkeit. Vielleicht machen Sie sich heute Nachmittag ja einmal eine eigene Liste und ordnen diese nach Wichtigkeit. Um meine Liste einmal in Worte zusammenzufassen, könnte ich auch sagen: Es ist am besten, unabhängig von allen anderen tun und lassen zu können, was man will und dabei seine Ruhe, genug zu Essen und Trinken zu haben. Was meinen Sie: könnte diese Liste für unsere Gesellschaft einigermaßen repräsentativ sein?

Zugegeben: Es ist keine sonderlich freundliche Liste, die ich erfunden habe. Und Gott, er fehlt in dieser Aufzählung vollkommen. Würde man Paulus diese Liste vorlegen, wäre er wohl nicht erbaut. Was würde er wohl dazu sagen?

Vielleicht würde er sich ähnlich wie im Predigttext äußern: Dass unsere Liste anders aussehen sollte, dass »das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene« sie anführen sollte, etwas mehr weg von uns und mehr hin zu den anderen, die unsere Geschwister sind, so können wir Paulus Perspektive für uns selbst aufnehmen. Das wäre »vernünftiger Gottesdienst«, schreibt er.

Und spannend: wo Luther das Wort »vernünftig« übersetzt, schreibt Paulus »logisch«. Für ihn ist es logische Folge von Christsein, andere Prioritäten zu setzen – solche, die das Gute für alle und nicht nur für sich selbst obenan haben. Andere Prioritäten sind unlogisch, so kann man Paulus fortführen.

Wir sollen uns unterscheiden – das ist Paulus wichtig und dieses Unterscheiden soll so aussehen, dass wir besser sind. Maßstab für dieses besser sein ist Gottes Rezept, Liebe zu ihm und den Nächsten sind die wichtigsten Zutaten.

Die politische Dimension

Die religiöse Dimension, die in Paulus’ Worten liegen, setzten sich so fort, dass sie auch eine politische Dimension haben. Mit politisch meine ich mehr, als wir dem Wort gewöhnlich beimessen. Die polis ist die Stadt, das Lebensumfeld, in dem wir sind. Die politische Dimension liegt darin, dass Christsein Folgen hat, die über uns selbst hinausreichen. Wir sollen nicht nur anders sein, weil wir zu Jesus Christus gehören, sondern sollen auch in unserer unmittelbaren Umwelt Gutes bewirken. Politisch, das heißt also: im Kleinen anfangen – da, wo wir auch handeln können.

Was Paulus so logisch erscheint, gibt er uns als Aufgabe – er schreibt: Ermahnung – mit auf den Weg. Wir sollen uns verändern, indem wir Gottes Maßstäbe umzusetzen versuchen. »Verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes« – so liest sich das in der Lutherbibel. Und wieder finde ich diese Übersetzung spannend, denn im Grundtext steht das Verb metamorphoomai (w.: μεταμορφοῦσθε) – das Wort Metamorphose klingt darin an. Eine Metamorphose ist eine Gestaltveränderung. Eine Raupe durchlebt eine Metamorphose zum Schmetterling, ein Kind erlebt in der Pubertät eine Metamorphose zum Erwachsenen, ein Mensch erlebt in der Taufe eine Metamorphose zum Christsein.

Im Leben ist solch eine Metamorphose niemals wirklich abgeschlossen, denn Leben heißt permanente Veränderung. Wir sollen uns so verändern, dass wir Gott mehr Raum geben. Das wird Folgen für unsere Umwelt haben, denn wo wir in Beziehung zu Gott leben, da werden wir auch die Gestalt unserer Umwelt verändern – eine gute Metamorphose anfangen. Das geschieht im Kleinen: Paulus erwähnt, dass wir maßvoll mit uns selbst sein sollen.

Das Wort Veränderung hat mehrere Bedeutungen

Metamorphosen, die logisch sind … Veränderungen, die vernünftige Folge sind … Was wir im Predigttext hören, hat eine dritte Dimension: Veränderungen sind häufig etwas, das wir mit Skepsis, Misstrauen oder auch Furcht betrachten. Das Wort Reform hat die Politik schon wirksam in seiner Bedeutung von Verbesserung zu Verschlechterung umdeklariert. Veränderungen können auch zum Schlechten sein. Es ist auch eine Veränderung, wenn man krank wird.

Paulus geht es um gute Veränderungen. Die sollen wir, ganz logisch, als Folge unserer Beziehung zu Gott erleben, angefangen in unserem Leben und fortgesetzt in unserer Umwelt. Wem das Wort »Veränderung« zweifelhaft erscheint, der kann vielleicht mit folgender Geschichte etwas anfangen:

Eines Morgens stürzte von den Blättern eines Baumes ein besonders großer Tautropfen kopfüber ins Meer. Die vielen Wellen rissen ihn mit sich. Verzweifelt versuchte er, sich zu befreien. Jeden Augenblick glaubte er, sich auflösen zu müssen. Da hörte er eine Stimme: »Rasch – komm in mein Haus! Dort bist du sicher!« Blindlings folgte er dem rettenden Ruf alsbald schlossen sich hinter ihm die Schalen einer Muschel. Zuerst atmete er dankbar auf. Aber langsam begriff er: »Ich bin hier zwar sicher, aber nicht mehr frei. Vielleicht werde ich nie mehr im Licht der Sonne in allen Regenbogenfarben leuchten!« Schließlich vertraute er seinen Kummer seiner freundlichen Wirtin an. Da sagte die weise, alte Muschel zu ihm: »Wenn du dich trotzig wider dein Schicksal sperrst, wirst du immer wieder ohnmächtig Schmerz empfinden. Wenn du aber alles annimmst und geduldig bist, wird es dir leichter ums Herz sein.« Und geheimnisvoll fügte sie hinzu: »Dann wirst du von innen her immer fester werden. Eines Tages wirst du tausendmal mehr sein, als du warst, ehe du stürztest!« Der Tautropfen seufzte. Aber er war bereit, diese Lehre zu befolgen, die er nicht ganz verstand. Er lebte von jetzt an still und ohne Klage, ganz in sich gekehrt in seinem Muschelhaus. Und richtig: Er fühlte erstaunt, dass etwas in ihm wuchs und wuchs und ihm viel Kraft gab. Erfreut dachte er: »Lebe wohl, was gestern war – das Heute kann nicht ewig dauern – vielleicht beginnt einmal mein großes Morgen!« Eines Tages sah er von der spaltbreit geöffneten Muschel aus etwas wie eine große, weiße Blüte im Wasser treiben. Es war aber keine Blume, sondern die Hand einer Perlentaucherin, welche die Muschel mit vielen anderen vom Fels pflückte. Bald lagen sie ausgebreitet auf einem Tuch am Strand, und die geübten Hände der Mädchen brachen eine nach der anderen vorsichtig auf. Plötzlich rief eine von ihnen entzückt: »Oh seht – ich habe eine vollkommen schöne Perle gefunden! Sie sieht aus wie ein Tautropfen und schimmert in allen Regenbogenfarben. Die ist sicher ein Vermögen wert.« Alle blickten auf ihre Hand, wo die kostbare Perle wie auf einem Lotusblatt ruhte. Die Perle, die am Anfang nicht mehr gewesen war als ein vergänglicher Tropfen Wasser unter tausend anderen Wassertropfen…

Unsere Veränderung soll so eine wie bei der Perle sein: Wir sollen lernen, nicht nur auf uns selbst zu sehen, sondern sollen im Licht der Liebe Gottes frei werden, unsere Nächsten zu erkennen. So sollen wir uns und die Welt verbessern. Veränderung ist möglich und sie kann, bei allen Mühen, etwas Gutes sein.

Zuletzt und um einen Bogen zum Anfang der Predigt zu schlagen: Es können nicht immer zuerst die anderen anfangen. Wir sind als Christen gefordert, uns nicht nur Gott und unseren Mitmenschen gegenüber zu verhalten, sondern auch mit der Welt, die er uns überlassen hat, verantwortungsvoll umzugehen. Das schließt den Klimaschutz und einen bewussten Umgang mit Ressourcen und ihrer gerechten Verteilung mit ein.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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