Glaube ich eigentlich? Mit Glaube und Zweifel ist es wie mit Ebbe und Flut: ohne das eine kann es auch das andere nicht geben. Diese Predigt ermutigt, trotz Zweifeln Glauben zu leben.

Predigt über Lukas 17,5–6: Zweifeln als Geburt neuen Glaubens verstehen

Am 15. Sonntag nach Trinitatis, 16.09.2007 in Gummersbach und Bernberg; neubearbeitet für den 12.09.2021 in Wiedenest. Veröffentlicht 16.09.2007, Stand 06.09.2022, 1205 Wörter.

Die Gnade unseres Herrn, Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

Liebe Gemeinde, sind Sie sich Ihres Glaubens gewiss? Ganz sicher? Keine Zweifel?

Wenn man darüber nachdenkt, merkt man: Die Wirklichkeit ist anders. Keiner von uns kann wirklich von sich sagen, Glaubensgewissheit immerzu zu haben. Das Zweifeln ist fester Bestandteil des Glaubens, ist wie ein siamesischer Zwilling fest damit verbunden. Martin Luther sagte: Wenn wir anfangen, uns zu fragen: »Glaube ich?«, sind wir schon mitten im Zweifeln.

Jesu Jünger kannten das Zweifeln auch, im heutigen Predigttext aus Lukas 17 hören wir davon:

Lk 17,5f Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.

Senfkorn und Maulbeerbaum – David und Goliath anders gefasst

Senfkörner kennen wir alle, mindestens aus dem Gurkenglas. Etwas winzig kleines – und dafür dient es als Sinnbild – ist ja oft plötzlich weg, verloren gegangen.

So kann es auch mit Glauben sein. Wenn wir ihn suchen, dann ist er eben vielfach weg. Und ist es nicht so: wenn es uns gut geht, wir gesund und mit unserem Leben zufrieden sind, dann stellen wir keine großen Fragen nach unserem Glauben. Glaube ist dann kein Thema, wird gar nicht vermisst.

Doch wenn es kritisch wird, weil es in der Partnerschaft Probleme gibt, weil an der Arbeit/in der Schule die Situation alles andere als entspannt ist oder wenn wir uns sorgen, sprich: wenn es im Leben nicht mehr problemlos »rund läuft«, dann fragen wir nach Gott, dann schiebt er sich wieder in unser Blickfeld: Ob er da ist? Ob er helfen kann? Und wird er tun, worum ich ihn bitte?

»Herr, stärke unseren Glauben«, baten die Apostel, Jesu zwölf engste Gefährten. Selbst sie kannten dieses Fragen, Suchen, Grübeln, dieses Zupacken und doch nicht Fassen. Jesus antwortet ihnen: »Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: ›Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!‹, und er würde euch gehorchen.«

Wenn Jesus bildlich von Senfkorn und Maulbeerbaum spricht, war seinen Hörern damals in Israel klar: Größer könnte der Unterschied nicht sein. Maulbeerbäume können bis zu 15 Meter groß werden.

Etwas so unbedeutendes wie ein Senfkorn soll so etwas Gewaltiges bewegen können? Macht Jesus sich mit diesen Bildern über seine Jünger lustig? Sagt er ihnen, gewissermaßen durch den Maulbeerbaum: Um euren Glauben ist es so schlecht bestellt, dass ihr’s am besten gleich ganz bleiben lasst, ihr bekommt das sowieso nicht hin? So kann man diesen Satz hören.

Nur ein Quäntchen Glaube ist nötig, um in der Welt gewaltige Dinge zu bewegen, das sagt der Predigttext – und da wir nicht viel bewegen, haben wir doch im Umkehrschluss keinen Glauben. Aber ist der Predigttext, mit diesem Ohr gehört, das, was Jesus sagen will? Heißt seine Aussage etwa wirklich: Eurer Glaube ist so gering, dass er zu nichts nützt?

Glauben wagen – sogar, wenn er nur ganz klein ist

Jesus möchte seine Jünger auf etwas anderes aufmerksam machen. Sie haben erlebt, wie fragil, zerbrechlich und zart Glaube sein kann – wie eine Frühlingsblume, die noch mit dem Frost ringt. Sein Satz: »Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: ›Reiß dich aus und versetze dich ins Meer‹, und er würde euch gehorchen« ist kein Spott ob eines angefochtenen Glaubens oder Zweifel. Vielmehr ist es eine Ermutigung, sich dem Glauben nicht zu verschließen.

Jesus weiß um unser Angefochten sein, unser Schwanken, unser Suchen nach Gewissheit. Er erlebte es bei den Aposteln – trotz der vielen Machttaten, die er als Gott auf Erden vor ihren Augen getan hatte. Obwohl sie dabei gewesen waren, baten sie: »Stärke unseren Glauben.«

Was ist Glauben?

Das Problem des Glaubens ist, dass er ein für-wahr-halten von etwas ist, das sich nicht beweisen oder greifbar fassen lässt. Im Hebräerbrief finden wir eine Definition von Glauben, sie heißt:

Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.« (Hebr 11,1)

Feste Zuversicht und Nichtzweifeln, das ist Glaube. Wir erleben, dahinter zurückzufallen, wenn wir zweifeln.

Was Zweifeln ist, lässt sich ebenfalls beschreiben: Es ist ein noch-nicht-glauben, aber mehr als ein nicht-glauben. Der Philosoph Martin Buber beschrieb, wie Zweifeln sich anfühlt und wie man es als Entwicklung verstehen kann: »Der Zweifel gehört zur echten Fruchtbarkeit, man muss durch ihn hindurch, es geht kein anderer Weg als dieser gefahrvolle in die große Gewissheit.«

Zweifeln ist die »Pubertät des Glaubens«, ein Durchgang, eine Entwicklung. Und Zweifeln kann einen doppelten Ausgang haben: Es kann in Unglauben münden, genauso wie in Glauben haben, vielmehr: sich dem vom Heiligen Geist gegebenen Glauben nicht zu verschließen.

Glaube ist dynamisch, schwankt zwischen wenig und viel

Zweifel ist also so etwas wie ein Prüfstein des Glaubens, eine Art »frommer Ölmessstab«, der zeigt, wie es um unserem Glauben bestellt ist.

»Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen.« (2. Kor 5,7) schreibt Paulus an die Korinther. Glaube bedeutet noch nicht zu sehen, aber für wahr zu halten. Das lässt sich nicht immerzu durchhalten und so ist das Zweifeln eine gesunde Sache, dient letztlich dem Wachstum allen Glaubens. Glaubt jemand, der niemals zweifelt?

Glauben stärken

Damit unser Zweifeln nicht in Unglauben mündet, ist eines notwendig: Dass wir uns immer wieder auf Gott einlassen, mit ihm ringen und ihn hinterfragen; dass wir ihm klagen, wo wir enttäuscht sind – vor allem, dass wir damit nicht aufhören. Wenn wir uns von Gott abwenden, auf »Durststrecken« nach anderen »Quellen« suchen, wächst sich sonst bald alles Zweifeln zu Unglaube aus.

Beim Glauben geht es um Gewissheit und nicht um Sicherheit. Deshalb ist es gut, wenn wir in Zeiten des Zweifelns, wenn Gott uns ungreifbar und fern scheint, wie die Apostel rufen: »Herr, stärke meinen Glauben! Lass mich nicht los, lass mich nicht ins Ungewisse fallen!«

Paul Gerhard dichtete dazu:

»Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt
der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt.
Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn,
der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann!«
– eg 361; Paul Gerhard, 1653

In allem Zweifeln kann die Besinnung auf Gott zum Glauben führen. Ihn gerade dann zu suchen, wenn Alltag, Sorgen und Ängste unseren Glauben anfeinden, kann uns nicht nur neu für Glauben öffnen, sondern uns auch ein Stück der Verheißung fassen lassen, die hinter dem Glauben steht: Dass wir auf Gottes Liebe und Nähe vertrauen und uns auf dem Weg zu ihm wissen. Er ist das Ziel, auf die Gemeinschaft mit ihm zielt aller Glaube. Und wo wir zweifeln – anders verstanden: wo wir uns auf die Suche nach Gott machen, da werden wir etwas von der Ruhe und dem Frieden fassen, den er für uns bereithält.

Das schenke uns Gott in seinem Heiligen Geist: dass wir ihn immer wieder finden und unser Zweifeln nur als eine »Zeit des Geburtsschmerzes« verstehen, der mit Gottes Hilfe immer wieder Christus in unseren Herzen zur Welt bringt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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