Titel: Predigt über Philipper 2,1–11: Jesus Christus – ein Vorbild für uns?, Predigtreihe in den Sommerferien 2007, 3. Predigt Autor: Marc Platten Datum: 08.07.2007 (Stand: Version 3416309 vom 06.09.2022) Adresse: https://mplatten.de/predigten/2007-07-08-predigt-ueber-philipper-2-1-11/ Inhalt: Wer ist Jesus Christus – und wer ist er für mich? Die Antwort darauf kennen nur wir selbst. Diese Predigt gibt einige Hinweise dazu. (1693 Wörter, ca. 8 Minuten Lesezeit.) |
Wer ist Jesus Christus – und wer ist er für mich? Die Antwort darauf kennen nur wir selbst. Diese Predigt gibt einige Hinweise dazu.
Predigt über Philipper 2,1–11: Jesus Christus – ein Vorbild für uns?
Predigtreihe in den Sommerferien 2007, 3. Predigt. Veröffentlicht 08.07.2007, Stand 06.09.2022, 1693 Wörter.
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Die Gnade unseres Herrn, Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!
Liebe Gemeinde, wer ist Jesus Christus? Die Frage mag Sie erstaunen. In der Geschichte der christlichen Lehrausbildung war diese Frage eine Quelle für zahlreiche Diskussionen. Einige Antworten werden Sie in der heutigen Predigt hören, beim Apostel Paulus klingt in dem während einer Gefangenschaft geschriebenen Philipperbrief einiges dazu an. Hören wir, was der Apostel damals an die Philipper geschrieben hat:
Phil 2,1–11 (MP) Wenn es Ermahnung in Christus gibt und liebevollen Zuspruch, Gemeinschaft im Geist und herzliches Mitgefühl, dann vervollkommnet meine Freude, indem ihr dasselbe wollt (wie ich), dieselbe Liebe (füreinander) habt, einmütig und einträchtig seid (und) euch untereinander nicht in Selbstsucht oder Eitelkeit (anseht), sondern in Demut achtet und darin übertrefft, (und zwar) nicht, indem ihr das jeweils Eigene in Blick habt, sondern (auch) das des anderen.
Seid untereinander so gesinnt, wie ihr es in Christus seid:
Er war in Gestalt Gottes,
hielt es nicht für einen Raub
Gott gleich zu sein,
sondern gab seine Rechte auf,
nahm Knechtsgestalt an,
wurde den Menschen gleich
und, der äußeren Gestalt nach als Mensch befunden,
machte er sich klein, indem er gehorsam wurde bis zum Tod,
nämlich dem Kreuzestod.
Deshalb erhob Gott ihn auch zur höchsten Höhe
und schenkte ihm den Namen,
der über allen Namen ist,
damit sich im Namen Jesu
alle Knie beugten
im Himmel, auf Erden und in der Unterwelt
und jeder Mund bekennt, dass
Jesus Christus Herr ist –
zur Ehre Gottes des Vaters.
Der sogenannte Philipperhymnus, das sind die Verse 6–11 auf Ihrem Handzettel, ist wohl ein Lied, das die ersten Christen gesungen haben, zum Beispiel anlässlich von Taufen. Vers 6 geht gleich in die Vollen: Jesus Christus war Gott gleich, das ist die zentrale Aussage dieses Verses. Er »hielt es nicht für einen Raub« – das heißt, dass Christus eine der drei Erscheinungsformen Gottes ist, sich seine Göttlichkeit nicht erst verschaffen, sie rauben, musste.
Vers 7 verdeutlicht das: Indem er in Jesus Mensch wurde, enthielt Christus sich seiner Göttlichkeit (Kenosis). Er »nahm Knechtsgestalt an«, heißt es in dem Lied, und weiter: »wurde den Menschen gleich«.
Christus- und Menschenbild
Tja. Das klingt nicht positiv. Mensch sein gleich Knecht sein – ist dies das Menschenbild an dieser Stelle? Vielleicht ist es gar nicht so falsch, wenn wir danach fragen, wer Jesus Christus ist, auch danach zu fragen, wer wir sind. Dass die Menschen in diesem uralten Lied als Knechte, oder Sklaven (wie man es auch übersetzen kann), bezeichnet werden, das mutet fremd an.
Und doch ist da etwas dran. Es gibt Dinge, denen sind wir Knecht. So wie wir atmen, essen und trinken müssen, um zu leben, uns dem nicht entziehen können, so gibt es ein anderes in unserem Mensch sein, dem wir uns nicht entziehen können: Wir können nicht Nichtsündigen (non posse non peccare). Dass das so ist, erleben wir allezeit. Kein Tag vergeht, an dem wir uns nicht selbst der oder die Nächste sind, zuerst auf das blicken, was uns wichtig ist.
Die Bibel erzählt, dass die Menschen einst nahe bei Gott gelebt haben, im Paradiesgarten Eden. Dann setzten sie sich über Gottes Regeln hinweg und das führte zur Trennung und seitdem können wir nicht anders, als immer wieder zu sündigen. Das ist mit der Knechtschaft im Lied gemeint, dass wir durch das nicht Nichtsündigen können geknechtet sind.
Sündigen, das klingt altmodisch. Passt es nicht in unsere Vorstellungswelt, es von einer Kanzel zu hören? Und andererseits: Wir und sündigen? Sollten man nicht lieber sagen, dass wir manchmal in »schuldhafte Zusammenhänge verstrickt werden«? Dass uns gelegentlich »kleinere Schwierigkeiten« unterlaufen?
Beschönigungen führen nicht weiter. Auch wenn es altmodisch klingt: Wir sind Sünder, und um etwas moderner zu werden: Wir sind auch Sünderinnen. Sünde ist zum Beispiel, dass wir uns selbst die Nächsten sind und deshalb den Kontakt mit Gott nur eingeschränkt ausüben – oder gar nicht. Sünde ist, dass wir nur unsere Angelegenheiten, Wünsche, Träume in Blick haben und die der anderen gering achten. Da finden wir alle uns drin, und das ist, was das altmodische und ungeliebte Wort Sünde beschreibt. Es ist zutiefst menschlich, es ist eine menschliche Grundeigenschaft.
Gott ist in Christus Mensch geworden, hat sich im Menschen Jesus seiner Möglichkeiten entäußert, wurde schwach, sterblich, endlich, begrenzt. Der Herr wurde Knecht.
Ein Unterschied bleibt: So wie wir Menschen seit der Trennung von Gott nicht mehr Nichtsündigen können, so war der Mensch Jesus anders: Er entsprach der ersten Schöpfung Gottes, war wie die Menschen vor dem Sündenfall in der Lage, nicht zu sündigen (vgl. Hebr 4,15). Vielleicht erklärt das, warum er solche Anziehungskraft auf die Menschen ausübte und ausübt. Und letztlich war Gott deshalb in ihm zu uns gekommen, um uns eine Hand über alle Gräben hinweg zu reichen.
»Er macht sich klein« heißt es in Vers 8. So klein, dass er sein Leben hingab zur Rettung aller, die an ihn glauben. Und wie sein Leben als Mensch am Kreuz zum Ende kam, so hat er das in Gott überwunden. Die Verse 9–11 wechseln die Perspektive, richten den Blick auf Gott als den Handelnden. Indem Christus den Tod überwunden hat, hat er ein unübersehbares Zeichen aufgerichtet, das auf Gott weist. Christus ist der Weg zu Gott, über den Graben aus Trennung und Selbstbezogenheit hinweg.
Es ist interessant, dass Paulus dieses alte christliche Lied heranzieht in diesem Briefabschnitt an die Philipper. Christus ist demütig, gehorsam und hat sein Leben zu unserer Rettung hingegeben, so kann man es kurz zusammenfassen.
Folgen
In Vers 5 schreibt er: »Seid untereinander so gesinnt, wie ihr es in Christus seid«, und dann folgt das Lied. Es ist eine Erklärung, einer Vertiefung dessen, was er in den vorigen Versen geschrieben hat – wenden wir uns denen zu.
»Wenn es Ermahnung in Christus gibt …« setzt Paulus umständlich an, drückt eine Mutmaßung aus. Das ist reine Rhetorik, denn eigentlich meint Paulus in den Versen 1 und 2 folgendes: »Weil es Ermahnung und liebevollen Zuspruch in Christus gibt, genauso wie Gemeinschaft im Heiligen Geist und herzliches Mitgefühl – weil das so ist, sollt ihr dasselbe wollen wie ich, nämlich Christus allen Menschen als den Weg zu Gott bekannt machen, und ihr sollt liebevoll miteinander umgehen und als Gemeinde eines Sinnes sein.«
Doch so direkt drückt Paulus sich nicht aus, sondern kleidet seine Worte rhetorisch geschickt in ein Wenn … Dann …, sodass die Philipper, weil das im Wenn-Satz Beschriebene selbstverständlich so ist, auch nicht anders können, als das im Dann-Satz Genannte zu befolgen.
Ermahnung in Christus? Die gibt es. Damit ist weniger die Kirchenzucht vergangener – hoffentlich vergangener – Zeiten gemeint, als ein liebevolles aufeinander achthaben und ein offenes Ansprechen, wenn jemand auf Abwegen irrt, eben ein liebevoller Zuspruch.
Gemeinschaft im Geist ist überall da, wo wir Christus bewusst Raum in unserem Leben geben. Einmütig und einträchtig sein, das ist schwieriger. Wir sollen alle eine Einheit in Christus sein, doch wir sehen: Die Christenheit ist zerteilt in Konfessionen, Kirchen und Gemeinschaften. Das ist wie in dem Witz, wo sich ein katholischer und ein evangelischer Pastor treffen und sich einig sind: Es ist ein und derselbe Gott. Und beim Abschied sagt der katholische Pastor zum anderen: »Wir dienen beide Gott: sie auf die ihre Weise und ich auf die seine Weise.«
Es ist alles andere als Einmütigkeit da, jeder wähnt alle Fülle an Erkenntnis bei sich selbst – und da wären wir wieder beim Thema Sünde. Paulus sagt: flieht das! Setzt alles daran, einmütig zu sein. In Vers 3 schreibt er, wie das gehen soll: indem die Philipper, und auch wir, versuchen, Eitelkeiten, Selbstverliebtheiten, Besserwisserei, das den Anderen einschätzen, beurteilen und in Schubladen stecken, das selbstsüchtige »allen das gleiche – mir das meiste«-Denken abzulegen. Paulus sagt: Versucht stattdessen, zuerst nach dem Wohl des Nächsten zu schauen und erst dann nach euch selbst.
Und dann schließt er das Lied über die Demut und den Gottesgehorsam Jesu Christi als ein Beispiel, als ein Vorbild für uns an. Dem sollen wir nacheifern, das ist Paulus Aussage im Predigttext.
Wenn man nur den Abschnitt unseres Predigttextes hört, dann erwächst daraus ein Anspruch, an dem man nur scheitern kann. Deshalb sei es an dieser Stelle gesagt: Gerade Paulus weiß darum, dass wir immer wieder versagen. Wir sind eben keine perfekten Menschen, sondern haben unsere »Macken«, machen Fehler. Paulus nimmt dafür das Wort Sünder nicht zu Unrecht in den Mund. Gerade im Wissen um unser Versagen erinnert uns Paulus an die Vergebung und den Beistand Jesu Christi. Wenn wir das im Hinterkopf mitbedenken, dann hören wir den Predigttext richtig: Paulus predigt hier kein Gesetz, sondern er ermutigt nicht perfekte Menschen, den Beistand Gottes ernst zu nehmen und, so gut es geht, zu versuchen, das im Alltag umzusetzen. Und dabei weiß Paulus, dass das Dabeisein ebenso wichtig ist, wie das ans Ziel kommen. Darum: versuchen wir, so gut wir es können, Christus nachzueifern. Versuchen wir zu lernen, nicht zuerst auf uns zu sehen, sondern unsere Nächsten im Blick zu haben.
Als während des Zweiten Weltkrieges alliierte Bomber die Stadt Münster angriffen, wurde die Kirche St. Ludgeri getroffen. Als man die Kirche aufzuräumen begann, stießen die Leute auf das Kreuz mit dem Kruzifix. Es war beinahe zerstört, dem Christus waren die Arme und Hände abgerissen worden.
Doch die Gemeinde beschloss, dieses Kreuz zu behalten, und im nächsten Jahr schrieben sie darüber: »Ich habe keine anderen Hände als eure«.
Diese Geschichte illustriert, was Paulus den Philippern geschrieben hat. Christus ist von Gott verherrlicht worden, ist zu ihm zurückgekehrt. Er hat uns gesagt, was wir tun sollen und das greift Paulus auf. Letztlich ist es das höchste Gebot, was dem Predigttext zugrunde liegt. Es heißt: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst« (Lk 10,27). Wo wir nach Kräften versuchen, das zu tun, wo wir uns im Wissen um unsere Fehlbarkeit immer wieder an Gottes Gnade stärken lassen, da stellen wir unsere Hände und Herzen in den Dienst Gottes.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.